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S.D. Fürst Hans-Adam II.
über Liechtenstein und die Zukunft . . .


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Durchlaucht, der EWR-Beitritt hat Vor- und Nachteile gebracht. Auf der einen Seite hat vor allem die Industrie vom Abbau der Zoll- und Handelshemmnisse profitiert, auf der anderen Seite mussten wir uns zum Beispiel für Ärzte öffnen. Wie beurteilen Sie die EWR-Bilanz?

Fürst Hans-Adam II.:
Positiv, allerdings müssen wir immer wieder darauf achten, dass diese Bilanz auch positiv bleibt. In der EU hat man in der Zwischenzeit gemerkt, dass der EWR für die Nicht-Mitgliedsländer wirtschaftlich ein grosser Vorteil bedeutet, denn man hat praktisch alle Vorteile der EU-Mitgliedschaft, ohne dass man sich an den Kosten im vollen Umfang beteiligen muss. Deshalb hat die EU auch die Gelegenheit benützt, bei der Ost-Erweiterung die Mitgliedsbeiträge im EWR für die Nicht-EU-Länder drastisch zu erhöhen.

Das Problem mit den Ärzten und Gesundheitskosten hat nicht direkt etwas mit dem EWR zu tun. Die Ärzte bieten ihre Dienstleistungen an, die Patienten konsumieren diese Dienstleistungen und ein Dritter bezahlt dafür, und zwar die Krankenversicherung. Unter so einem System steigt natürlich das Angebot an Dienstleistungen immer weiter und die Konsumenten werden dieses auch gerne annehmen, wenn sie dafür nicht bezahlen müssen. Früher oder später muss so ein System zusammenbrechen, da es von der Allgemeinheit nicht mehr finanziert werden kann.


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Der EWR scheint aber nicht für alle Zeiten gesichert. Wenn Norwegen der EU beitritt, dann wäre wahrscheinlich auch der EWR am Ende. Wie sehen Sie Liechtensteins Zukunft in Europa?

Fürst Hans-Adam II.:
Falls Norwegen und Island der EU beitreten, könnte man den EWR voraussichtlich wesentlich vereinfachen und ihm mehr oder weniger den Charakter eines bilateralen Vertrages geben. Vielleicht wird dann so ein vereinfachter EWR auch für die Schweiz und für andere Staaten interessant, die nicht der EU beitreten können oder wollen. Die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der EU ausgehandelt hat und noch weiter verhandelt, sind doch recht kompliziert und bringen zumindest wirtschaftlich nicht die gleichen Vorteile wie das EWR-Abkommen. Eine Mitgliedschaft Liechtensteins in der EU schliesse ich auch für den Fall aus, sollte die Schweiz selbst einmal Mitglied der EU werden.
Die Kosten sind einfach zu hoch. Die Mitgliedschaft in der WTO sichert uns auch dann noch einen Zugang zu den europäischen Märkten, sollte der EWR ersatzlos gestrichen werden.



exclusiv:
Wie weit beeinflusst die Ost-Erweiterung der EU den EWR in Zukunft?

Fürst Hans-Adam II.:
Ich glaube nicht, dass der Einfluss der Ost-Erweiterung auf den EWR sehr gross sein wird. Die Ost-Erweiterung wird aber den Entscheidungsprozess in der EU noch weiter verkomplizieren und die Frage stellt sich, ob diese Ost-Erweiterung nicht letzten Endes dazu führen wird, dass das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa scheitert und die EU sich in Richtung EWR zurückentwickelt.



exclusiv:
Durchlaucht, Sie haben Ihre Vorstellung geäussert, in absehbarer Zeit die Regierungsgeschäfte an Erbprinz Alois als Stellvertreter zu übertragen. Wenn Sie auf Ihre Zeit als Stellvertreter und als Fürst zurück blicken, welches sind für Sie die positiven und negativen Höhepunkte?

Fürst Hans-Adam II.:
Die positiven Höhepunkte waren zweifellos die Erfolge in der Aussenpolitik. Ich hatte mich schon vor der Stellvertretung Anfang der siebziger Jahre für eine Mitgliedschaft Liechtensteins in der UNO ausgesprochen und damals im Auftrag meines Vaters die Sondierungsgespräche für eine Mitgliedschaft Liechtensteins geführt. Diese Mitgliedschaft in der UNO war für uns besonders wichtig, denn sie bedeutete die weltweite Anerkennung Liechtensteins als souveränen Staat, was früher immer wieder in Frage gestellt wurde und letzten Endes unsere Existenz als souveränen Staat bedroht hat. Neben dieser aussenpolitischen Absicherung im politischen Bereich war für mich die Mitgliedschaft in der WTO und im EWR ein Erfolg, denn damit konnten wir die Position Liechtensteins auch wirtschaftlich international absichern.
Innenpolitisch ist zweifellos die Verfassungsreform ein ganz grosser Erfolg, vergleichbar mit der Verfassungsreform nach dem Ersten Weltkrieg.

Negativ war für mich immer wieder die Erfahrung, dass Politiker nicht nur die Monarchie sondern auch die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der liechtensteinischen Bevölkerung bewusst oder unbewusst in Frage gestellt haben.

Natürlich steht es jedem frei, die Monarchie sowie die Souveränität dieses Landes und das Selbstbestimmungsrecht seiner Bevölkerung in Frage zu stellen, nur muss man dann aber auch dem Volk offen und ehrlich sagen, was die Alternative ist. Soll es eine Republik Oberrheintal geben oder will man einen Anschluss an eines unserer beiden Nachbarländer.



exclusiv:
Durch die Verfassungsdiskussion ist Liechtenstein in zwei Lager gespalten worden. Glauben Sie, dass die aufgerissenen Gräben wieder zugeschüttet werden können?

Fürst Hans-Adam II.:
In einer Demokratie werden durch die Politik immer wieder Gräben aufgerissen, die wieder zugeschüttet werden. Die Verfassungsdiskussion hat Liechtenstein nicht in zwei Lager gespalten sondern in drei. Ein grosses Lager mit fast zwei Dritteln der Bevölkerung, die unseren Verfassungsvorschlägen zugestimmt hat, ein kleineres Lager mit ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung, das bei der alten Verfassung bleiben wollte und ein drittes Lager mit ungefähr 16 Prozent der Bevölkerung, das entweder eine schwache oder gar keine Monarchie haben wollte.
Wir müssen einfach damit leben, dass es in Liechtenstein immer eine Gruppe geben wird, welche die Monarchie ablehnt, das hat es auch schon in der Vergangenheit gegeben und das wird auch in der Zukunft so bleiben.



exclusiv:
Sie haben mehrfach gesagt, nach der Verfassungsabstimmung könne sich Liechtenstein wichtigen Zukunftsfragen zuwenden. Welches sind nach Ihrer Meinung die wichtigsten Probleme, die es für die Gestaltung der Zukunft zu lösen gilt?

Fürst Hans-Adam II.:
Ich glaube, dass man sich nicht nur in Liechtenstein sondern weltweit mit der Rolle des Staates in der Zukunft auseinander setzen muss. Der so genannte moderne Staat geht in seiner Grundkonstruktion auf das 18. Jahrhundert zurück und er hat so viele Aufgaben in der Zwischenzeit aufgebürdet bekommen, dass er sie in der Form, wie es wünschenswert wäre, gar nicht lösen kann. Der Staat hat seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert immer mehr die Rolle des lieben Gottes übernommen, nur mit dem einen Unterschied, dass er das Paradies hier auf Erden schaffen soll, und das möglichst rasch. Das ist eine unlösbare Aufgabe und hat in den vergangenen 200 Jahren zu riesigen Enttäuschungen und zu enormen politischen Umwälzungen geführt.
Der Erbprinz und ich sind überzeugt, dass man die Rolle des Staates grundsätzlich neu überlegen muss, und wir sehen den Staat sehr viel mehr als ein Dienstleistungsunternehmen und sehr viel weniger als einen Ersatz für den lieben Gott. Die Aufgabe wird es sein, in Zukunft den Staat wieder auf jene Rolle zurückzuführen, die er besser erfüllen kann als eine Familie, eine Gemeinde, die Privatwirtschaft oder sonstige private Organisationen.



exclusiv:
Welches sind Ihre persönlichen Wünsche für Sie und Ihre Familie?

Fürst Hans-Adam II.:
Ich bin ein sehr glücklicher Mensch und wir sind eine sehr glückliche Familie. Ich hoffe, dass es meiner Frau und mir vergönnt sein wird, nicht nur jetzt die Enkel zu erleben sondern vielleicht auch noch eines Tages den einen oder anderen Urenkel.



exclusiv:
Welche Wünsche haben Sie an Liechtenstein für die Zukunft?

Fürst Hans-Adam II.:
Ich hoffe, dass Volk und Fürstenhaus den gemeinsamen Weg, den wir in den vergangenen Jahrhunderten im Grossen und Ganzen recht erfolgreich zurückgelegt haben auch in Zukunft fortsetzen können. Europa hat sich in diesen Jahrhunderten rund um Liechtenstein ständig verändert. Grosse Reiche und neue Staaten sind entstanden und wieder untergegangen, Grenzen haben sich verschoben und ganze Bevölkerungsgruppen sind ausgerottet oder vertrieben worden. Es ist ein Wunder, dass dieses kleine Liechtenstein innerhalb seiner Grenzen diese Stürme in Europa überlebt hat.



exclusiv:
Was wünschen Sie dem Erbprinzen für seine künftige Tätigkeit als Stellvertreter und später als Fürst?

Fürst Hans-Adam II.:
Mein Vater und ich mussten uns immer wieder mit Politikern auseinander setzen, welche die Monarchie und die Grundlagen unseres Staates als nicht mehr zeitgemäss empfunden haben und deren Ziel es war, diese Grundlagen zu zerstören. Die neue Verfassung verweist nun diese Politiker auf den demokratischen Weg, und sie werden gezwungen sein, dem liechtensteinischen Volk eine glaubwürdige Alternative zu präsentieren, und beim Volk voraussichtlich dann ebenso deutlich scheitern wie in der Vergangenheit. Deshalb hoffe ich, dass der Erbprinz innenpolitisch ruhigere Zeiten erleben wird als mein Vater und ich, und dass die Verhältnisse in Europa für unser Land in Zukunft nicht mehr so bedrohlich sind, wie sie es immer wieder in der Vergangenheit waren.








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