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20 Jahre Mitgliedschaft
im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)
Interview mit S.D. Fürst Hans-Adam II.
Magazin exclusiv mit Silvia Abderhalden






Fürstentum Liechtenstein

Durchlaucht, zwei Abstimmungen, eine Staatskrise und Neuverhandlungen des Zollvertrages mit der Schweiz waren nötig, bis das EWR-Abkommen am 1. Mai 1995 für Liechtenstein in Kraft trat. Kaum ein Thema wurde in Liechtenstein politisch so kontrovers und emotional diskutiert wie der EWR-Beitritt. 20 Jahr danach - Zeit für einen Rückblick?

Fürst Hans-Adam II. von und zu  Liechtenstein: Wirtschaftlich und politisch hat sich unsere Mitgliedschaft im EWR noch besser entwickelt, als ich das ursprünglich erwartet habe. Dass sich der EWR für unsere Industrie sehr positiv auswirken wird, war abzusehen. Dass auch unser Dienstleistungssektor so stark von der EWR-Mitgliedschaft profitieren wird, habe ich damals nicht erwartet. Politisch wurde Liechtenstein durch die EWR-Mitgliedschaft stark aufgewertet und die Befürchtungen in Brüssel und Bern, dass unsere Staatsverwaltung diese neuen Herausforderungen nicht bewältigen kann, haben sich nicht bewahrheitet. Natürlich mussten wir da und dort unsere Verwaltung ausbauen, was Geld kostet, aber die wirtschaftlichen Vorteile für Liechtenstein sind um ein Vielfaches grösser. Aus Politik und Wirtschaft in der Schweiz habe ich in den letzten 20 Jahren immer wieder gehört, dass Liechtenstein damals die richtige Entscheidung getroffen hat, währenddem die Schweiz immer noch um eine Lösung mit Brüssel kämpft.

Was waren die grössten Hürden und Herausforderungen der damaligen Verhandlungen?
Innenpolitisch waren Regierung, Landtag und die Wirtschaftsverbände überzeugt, dass eine EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins nur mit der Schweiz möglich ist - wenn überhaupt. Im Bereich Finanzdienstleistungen gab es auch solche, die den EWR ablehnten, selbst für den Fall, dass die Schweiz dort Mitglied wird.

Aussenpolitisch bestand die Schwierigkeit darin, dass man sowohl in Brüssel als auch in Bern überzeugt war, dass eine EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins unmöglich ist, wenn die Schweiz diesen ablehnt - es sei denn, man kündigt die Verträge mit der Schweiz. Ich war anderer Ansicht und habe dann mit einem Fachmann ein Konzept ausgearbeitet, das ich zuerst mit der Kommission in Brüssel besprochen habe. Brüssel war mit der  Lösung einverstanden unter der Voraussetzung, dass auch Bern zustimmt. Der Bundesrat in Bern war ebenfalls mit der von mir vorgeschlagenen Lösung einverstanden, und wir haben damals auch besprochen, dass wir in Liechtenstein vor der Schweiz abstimmen. Wir waren uns ziemlich sicher, dass es in Liechtenstein einfacher sein wird, die EWR-Abstimmung zu gewinnen, als in der Schweiz. Ein deutliches Ja in Liechtenstein hätte sich auf die eher skeptische Ostschweiz positiv ausgewirkt. Im Falle eines Neins der Schweiz zum EWR hätte es dann eine zweite Abstimmung in Liechtenstein gegeben, mit dem von mir ausgearbeiteten Vorschlag, dem Brüssel und Bern prinzipiell schon zugestimmt haben.

Die grösste Hürde und Herausforderung war es dann aber, Regierung und Landtag zu überzeugen, dass wir vor der Schweiz abstimmen sollen, und dass Liechtenstein selbst bei einem Nein der Schweiz sowohl die Verträge mit der Schweiz aufrechterhalten als auch Mitglied des EWR's werden kann.

Ihr Vater Fürst Franz Josef II. hat Sie im Jahr 1984 als dauernden Stellvertreter eingesetzt und mit der Wahrnehmung der Staatsgeschäfte des Fürstentums Liechtenstein beauftragt. Schon in dieser Zeit setzten Sie sich für eine eigenständige Aussenpolitik Liechtensteins ein. 1990 gelang der UNO-Beitritt, 1995 der Beitritt zum EWR. Das politische Umfeld hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, die liechtensteinische Regierung ist ständig gefordert im  Umgang mit neuen Entwicklungen und Herausforderungen, um sich als Partner aktiv einzubringen. Dies kann nur mit einer engagierten Aussenpolitik geschehen. Wo sehen Sie die grössten Chancen für Liechtenstein in der Zukunft?
Ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen, unsere Souveränität durch die Mitgliedschaft in der UNO, dem EWR, dem Europa- rat usw. abzusichern. In einer globalisierten Welt werden wir langfristig nur dann politisch und wirtschaftlich erfolgreich bleiben, wenn auch der Rest der Welt wirtschaftlich und politisch erfolgreich ist. Was es braucht, ist heute weitgehend unbestritten: Demokratie und Selbstbestimmungsrecht, Rechtsstaat und Marktwirtschaft sowie ein möglichst umfassender Freihandel. Auch Liechtenstein kann dazu einen Beitrag leisten und selbst ein Kleinstaat wie wir hat in diesen internationalen Organisationen ein Stimmrecht. Mit der Gründung des «Liechtenstein Institute on Self-Determination» an der berühmten Princeton University ist es  mir gelungen, einen weiteren Beitrag zu leisten. Das Institut ist heute weltweit anerkannt. Viele der Studenten haben in ihren Heimatländern oder bei internationalen Organisationen in der Zwischenzeit eine erfolgreiche Karriere begonnen, und das Institut hat nicht nur in Princeton, sondern in verschiedenen Weltgegenden sehr erfolgreich Konferenzen mit hochrangigen Politikern organisiert. Mit solchen Initiativen kann das kleine Liechtenstein oft mehr erreichen als sehr viel grössere Staaten.

Wie kam es zu der speziellen Regelung der Personenfreizügigkeit?
Bei meinen Gesprächen in Brüssel habe ich erwähnt, dass wir immer wieder wegen unseren niedrigen Steuern kritisiert werden. Bei einer vollen Personenfreizügig- keit würde dies zu Problemen mit den Mitgliedsländern der EU führen und zu innenpolitischen Schwierigkeiten bei uns, falls viele reiche Leute aus der EU sich dann in Liechtenstein ansiedeln würden. Die Kommission hat mir daraufhin zugesagt, uns in dieser Frage entgegenzukommen, allerdings unter der Bedingung, dass dies vorderhand vertraulich zu behandeln ist.

In Ihrem Buch «Der Staat im dritten Jahrtausend» stellen Sie die Frage, ob das Bildungssystem im Staat der Zukunft eine Staatsaufgabe sein soll. Wie sieht die nahe Zukunft aus? Gibt es  andere Länder, die als Vorbilder dienen oder dienen könnten?
In meinem Buch habe ich darauf hingewiesen, dass die Betreuung des Bildungssystems im Staat der Zukunft weiterhin eine zentrale Staatsaufgabe bleiben soll. Der Staat soll aber nicht mehr das Bildungssystem vom Kindergarten bis zur Universität selbst betreiben und finanzieren, sondern vielmehr die Schüler und Studenten über Bildungsgutscheine. Es wäre Aufgabe der Privatwirtschaft, die Bildungsinstitute zu betreiben, an denen Schüler und Studenten, bzw. ihre Eltern, die Bildungsgutscheine einlösen können. Der Staat hätte aber auch weiterhin eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, indem er die Richtlinien erlässt über die Bildungsinhalte und eine Kontrollaufgabe, inwieweit diese Bildungsinhalte auch vermittelt werden.

Das Ergebnis dieser Kontrollen wäre zu publizieren und bei jenen Bildungsinstituten, welche diese Richtlinien nicht erfüllen, könnten die Bildungsgutscheine nicht eingelöst werden. Auch heute gibt es schon eine Reihe von Staaten, die Privatschulen und Privatuniversitäten zulassen und bei denen die Kosten teilweise ersetzt werden, falls sie die vorgegebenen Richtlinien erfüllen. Das würde zu einem Wettbewerb zwischen den einzelnen Bildungsinstituten führen und den Eltern, bzw. den Studenten, einen Überblick geben über die Qualität der einzelnen Bildungsinstitute. Dieses Modell wird schon seit Langem unter Experten diskutiert, aber bisher wurde es noch in keinem Staat verwirklicht. Politikern und Bürokraten fällt es immer sehr schwer, Macht abzugeben. 

Am 27. Oktober 1992 stellten Sie als EWR-Befürworter ein Ultimatum für eine Abstimmung vor der Schweiz. Eine solche Entscheidung zu treffen, benötigt eine grosse persönliche Sicherheit und Vertrauen. Was war rückblickend der Antrieb dazu?
Einerseits - wie erwähnt - die Zusage vom schweizerischen Bundesrat, andererseits war ich nicht unglücklich, dass an dieser Frage der schwelende Verfassungsstreit offen ausbricht.

Abkommen und Verpflichtungen, die im EWR beschlossen werden, sind für Kleinstaaten anders umsetzbar als für grosse Staaten. Welche Vor- und Nachteile gab es rückblickend für das Fürstentum Liechtenstein, oder ergeben sich spezifische Chancen für den Kleinstaat Liechtenstein?
Abgesehen von der Ausnahmebewilligung bezüglich der Personenfreizügigkeit gelten Abkommen und Verpflichtungen, die im EWR beschlossen werden, genauso für kleine Staaten wie für grosse Staaten. In einem Kleinstaat wie Liechtenstein ist man oft näher an den Problemen und Lösungen, ist beweglicher und kann schneller reagieren.
Hat sich die Souveränität des Fürstentums Liechtenstein seit dem Beitritt zur EWR-Mitgliedschaft verändert? Wurde sie eingeschränkt?
Grundsätzlich muss man sagen, dass in unserer globalisierten Welt die Souveränität aller Staaten durch internationale Organisationen und Abkommen gegenüber früher eingeschränkt wurde. Schon die Wirtschaftsverträge mit Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert haben unsere Souveränität eingeschränkt, dann unsere Verträge mit der Schweiz. Der Beitritt zum EWR hat meiner Meinung nach unsere Souveränität gestärkt. Die Mitgliedstaaten der EU haben auf sehr viel mehr Souveränität verzichtet als Liechtenstein.

In Westeuropa sind Monarchien verschwunden oder wurden grösstenteils auf Repräsentationsaufgaben zurückgedrängt. Was sind die Vorteile einer Erbmonarchie?
Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen einer Erbmonarchie, die nur noch mehr Repräsentationsaufgaben wahrnimmt und einer Erbmonarchie, die noch politische Aufgaben zu erfüllen hat und politische Verantwortung übernimmt. Das liechtensteinische Modell der Erbmonarchie bietet Vorteile in der Innen- und Aussenpolitik. In einer Demokratie sind die Parteipolitiker in der Regel gezwungen, eine kurzfristige Politik zu betreiben, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Dort ist die Versuchung gross, mit Steuergeldern Stimmen zu kaufen, was dazu führt, dass zu viele Staatsbeamte angestellt werden und Staatsbetriebe eine Politik verfolgen, welche zwar den Parteipolitikern nützlich ist, aber nicht unbedingt der Gesamtwirtschaft. In einer Erbmonarchie denkt man in Generationen und kann langfristige Ziele verfolgen, sei es in der Aussen- oder in der Innenpolitik.

Besonders für einen Kleinstaat wie Liechtenstein ist dies von Vorteil. Schon als 18-Jähriger hatte ich aufgrund meines Praktikums im amerikanischen Senat die Möglichkeit, Präsident Kennedy kennenzulernen, sowie andere wichtige Persönlichkeiten im Weissen Haus oder in der Regierung. Aufgrund dieser persönlichen Kontakte war es mir auch möglich, eine Änderung der amerikanischen Politik zu erreichen, was die Aufnahme kleiner Staaten wie Liechtenstein in die UNO betrifft. Die amerikanische Regierung vertrat vorher den Standpunkt, dass Kleinstaaten wie Liechtenstein nicht  Vollmitglieder der UNO werden können, da man befürchtete, dass diese mehr-heitlich entweder ihren Verpflichtungen als UNO-Mitglied nicht nachkommen werden, oder in den Einflussbereich der Sowjetunion geraten.

Auch unsere Kunstsammlung war immer wieder ein nützliches Instrument der liechtensteinischen Aussenpolitik. Anlässlich unserer Ausstellung im Metropolitan Museum hat der amerikanische Präsident für meine Eltern ein Essen im Weissen Haus gegeben. In der Regel kommen nur Vertreter grosser Staaten in den Genuss einer solchen Ehre. Der damalige Schweizer Botschafter meinte: «Da kann ich den ganzen Bundesrat bringen, aber der amerikanische Präsident wird deshalb kein Essen zu Ehren des Bundesrates im Weissen Haus geben.» Eine Republik Liechtenstein wäre wahrscheinlich heute noch nicht Mitglied der UNO oder des EWR's, und wichtige innerpolitische Refor- men wären auch nicht möglich gewesen. Selbst Hitler war bereit, meinen Vater zu empfangen und dadurch die Souveränität Liechtensteins anzuerkennen, was er im Fall Österreichs und anderen Staaten nicht getan hat.

Ein Nachteil einer Erbmonarchie war in der Vergangenheit, dass es kaum möglich war, einen unfähigen Monarchen aus seinem Amt zu entfernen, ausser durch eine Revolution. Mit unserem neuen Haus- gesetz ist es unserer Familie möglich, einen unfähigen Monarchen aus dem Amt zu entfernen. Die in der Volksabstimmung angenommenen Verfassungsänderungen geben der liechtensteinischen Monarchie darüber hinaus auch eine demokratische Legitimation. Das Fürstenhaus stellt das Staatsoberhaupt nur so lange, so lange dies von einer Mehrheit der liechtensteinischen Bevölkerung gewünscht wird.

Zukunftsblickend, welche Verbesserungen, Anpassungen oder Notwendigkeiten sehen Sie heute, um die grösste Wirtschaftszone zu rüsten und zu stärken?
Den Abbau der Bürokratie, die Ausdehnung des EWR's auch auf nicht-euro- päische Staaten und die Einführung der direkten Demokratie in den einzelnen Mitgliedstaaten. Dadurch würde man die Politik wieder näher an die Bürger heranbringen, so ähnlich wie das in der Schweiz und in Liechtenstein der Fall ist. Von Vorteil wäre es auch, wenn man in den einzelnen Mitgliedstaaten die regionale und lokale Autonomie stärken würde. Der Erfolg der Schweiz auf politischer und wirtschaftlicher Ebene beruht sicher auch darauf, dass Kantone und Gemeinden eine hohe Entscheidungskompetenz haben und es die direkte Demokratie gibt.

Wir bedanken uns bei S.D. Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein für das Gespräch.   

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