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Ein Weihnachtsmärchen – Wenn ein kleines Licht zu leuchten beginnt...

Ein Weihnachtsmärchen – Wenn ein kleines Licht zu leuchten beginnt...

Als ich selber noch ein kleines Mädchen war... und glauben Sie mir, das ist schon eine ganze Weile her... begannen die Geschichten immer mit: Es war einmal... oder vor langer Zeit... und wenn es dann ganz, ganz lange her war... war es vor einer Ewigkeit, zeitlos.

Ja und was sollte ich mir jetzt vorstellen? Also war meine liebe Mama die Anlaufstelle um mir eine Erklärung für die «Ewigkeit» zu geben. Ich muss Ihnen nun gestehen, liebe Leserinnen, liebe Leser, dass ich sie immer wieder fragte, weil mir ihre Erklärung so gut gefiel und weil ich meiner Mama so gerne zuhörte, wenn Sie erzählte:
«Ganz weit weg, in einem fremden Land, ich glaube es ist auf der anderen Seite der Welt, ist ein sehr hoher Berg, ein riesiger Berg, höher als alle Berge die es gibt. Und jedes Jahr um die gleiche Jahreszeit kommt ein kleiner Vogel zu diesem Berg und wetzt seinen kleinen Schnabel am Stein des Berges. Und wenn dieser kleine Vogel den ganzen Berg weg gewetzt hat, dann ist eine Sekunde der Ewigkeit vergangen.» Aha, jetzt war mir klar, wie lange die Ewigkeit ist und bis zur nächsten Frage war mein Wissensdurst mit dieser, für mich schönen Erklärung, gestillt.

Nun bin ich etwas abgewichen auf der Suche danach, wie ich meine Geschichte beginnen soll, denn es ist auch eine Ewigkeit her... und darum weiss auch niemand mehr in welchem Land es war... und ob es sich um ein Märchen oder eine wahre Begebenheit handelt.

Lilli hiess das Mädchen, von welchem die Geschichte erzählt. Ohne Eltern aufgewachsen, verbrachte sie ihre Kindheit an verschiedenen Orten mal hier mal dort. Da all dies sehr anstrengend war und Lilli nicht wirklich glücklich machte, entschloss sie sich schon im Kindesalter in eine andere Stadt zu ziehen und dort nach Arbeit zu suchen.

In einem prächtigen Haus mit einem grossen Park fand sie eine Anstellung bei einer wohlhabenden Familie. Sie war die jüngste und es gab viel Personal im Haus. Eine Köchin, ein Butler, ein Chauffeur, ein Gärtner und ganz viele Leute die für Ordnung, Sauberkeit und eine feine Küche sorgten, was Lilli eigentlich ganz gut gefiel. Also tat sie täglich wie ihr geheissen, sie putzte Schuhe, wusch Wäsche, schruppte Böden und half in der Küche. Die Arbeit war streng und überforderte oft die Kräfte der kleinen Lilli, aber sie bekam warmes Essen und hinter der Küche gab es eine kleine Kammer mit einem Bett, es war warm und trocken, und das war viel mehr als es Lilli in ihrem kurzen Leben je bekommen hatte.

Nun wäre ja alles so weit so gut, Glück kann man nicht mieten, Zufriedenheit ist viel Wert, wäre da nicht diese Hausdame, die ihr das Leben oft schwer machte. Eine sehr strenge ältere Dame, die nie lächelte. Lilli ging ihr aus dem Weg so gut es ging. Dann kurz vor Weihnachten war dieser grosse Empfang. Alle im Haus waren sehr nervös, es wurde geputzt, dekoriert, gekocht und gebacken, und das ganze Haus mit dem riesigen Garten war wie ein einziger Ameisenhaufen, in dem es von fleissigen Helferinnen und Helfern nur so wimmelte.

Lilli wurde damit beauftragt, das Geschirr zu polieren. Das Porzellangeschirr glänzte ohnehin, aber Lilli polierte jeden Teller, jede Schale und jede Tasse, sodass nicht der kleinste Wasserfleck zu sehen war und der goldene Rand in seiner ganzen Pracht erstrahlte. Dann kam sie zu einer kleinen Porzellandose für Kekse. Während sie diese polierte und gerade dabei war, sie auf den Tisch zu stellen, geschah es – die Dose glitt aus dem Tuch, keine Reaktion war schnell genug, es klirrte, das feine Geschirr lag am Boden, die Henkel waren abgebrochen und wo vorher die Henkel angebracht waren, hatte die Dose nun Löcher. Lilli hörte von weitem das Schimpfen der Hausdame, die entschied: «Jetzt reicht es. Verschwinde aus meinen Augen.» Lilli sammelte die Scherben und die kleine Dose ein und steckte sie in ihre Schürzentasche. Sie entschuldigte sich von ganzem Herzen, doch all das half nichts. Bevor sie sich versah, stand sie vor dem Haus. Zwei Minuten später flog ihre Tasche mit den wenigen Habseligkeiten hinterher und sie hörte immer wieder: «Lass dich hier nie mehr blicken.»

Foto und Text © exclusiv
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Lilli wartete, in der Hoffnung, dass ein Wunder geschehen würde, aber nichts geschah. So lief sie zum ersten Tor, dann zum zweiten, über die Strasse und durch die Ortschaft bis zum Wald. Es wurde kalt, dunkel und Lilli hatte Angst. Unter einem riesigen Baum fand sie Schutz und holte aus ihrer Tasche die kleine Kerze, die sie manchmal anzündete. Doch sie wollte auf dem Waldboden nicht stehen und der Wind löschte immer wieder das Licht.

Plötzlich hatte Lilli eine Idee. Sie nahm die Dose aus ihrer Schürze, stellte die Kerze hinein und oh, wie wunderschön, das Licht strahlte durch die Löcher und breitete sich über den Waldboden aus. Die Lichter wirkten wie tanzende Kreise. Lilli hatte keine Angst mehr und erfreute sich an diesem lustigen Lichtspiel, bis sie vor Erschöpfung einschlief.

Am nächsten Morgen machte sich Lilli früh auf den Weg, sie lief und lief bis sie in eine andere Ortschaft kam. Dort fand gerade ein Markt statt. Gegen Ende des geschäftigen Markttages entdeckte sie einen kleinen Stand mit handgefertigtem Tongeschirr. Hinter dem Stand sass eine ältere Frau, deren Geschäfte nicht so gut liefen. Die arme Johanna hatte Rheuma und beim Arbeiten mit dem kalten, nassen Ton schmerzten ihre Hände. Das Formen gelang ihr nicht mehr so leicht wie früher. Da keine Kunden am Stand waren blieb Lilli stehen und betrachtete das Geschirr. Sie sprach Johanna an: «Hallo, ich habe eine Idee. Darf ich sie Ihnen zeigen?» Gleichzeitig nahm sie ein Stück Geschirr, das noch auf der Töpferscheibe stand und noch feucht war. Mit einem kleinen Ast, den sie im Wald gefunden hatte, bohrte sie verschiedene Grössen von Löchern in das Gefäss, stellte ihre Kerze hinein und zündete sie an. «Oh, wie wunderschön», sagte die alte Dame. Und nicht nur ihr gefiel es - plötzlich kamen Leute zum Stand und alle waren begeistert.

Ich glaube, liebe Leserinnen und Leser, Sie wissen bereits, wie die Geschichte ausging: Die kleine Lilli und die alte Dame wurden Freunde. Lilli fand in Johanna eine Art Mutterersatz und Johanna freute sich, in Lilli so etwas wie eine Tochter gefunden zu haben. Die beiden lebten fortan im kleinen Haus der alten Dame, arbeiteten gemeinsam und formten Windlichter in allen Farben und Formen. Sie hatten viel Freude dabei und ihre Marktgeschäfte liefen gut. Wo immer sie einen Stand hatten, freuten sich die Menschen über die Windlichter, die in der Dunkelheit ihr Licht über den Boden oder den Tisch ausbreiteten und ein zauberhaftes Lichterspiel entstehen liessen. Es ging den beiden gut und sie waren glücklich und zufrieden. 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen, liebe Leser, ein Weihnachtslicht voller Freude und Zufriedenheit.

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