Aus der Regierung
«Liechtensteins Innenpolitik treibt bisweilen seltsame Blüten»
exclusiv-Gespräch mit dem liechtensteinischen
Regierungschef-Stellvertreter Dr. Martin Meyer
Als Liechtensteins Regierungschef-Stv. Dr. Martin Meyer (38) im Jahre
2005 erstmals in die Regierung berufen wurde, sah die
liechtensteinische Wirtschafts- und Finanzwelt anders aus als heute.
Martin Meyer (FBP) übernahm die Ressorts Inneres, Gesundheit und
Verkehr. Im März 2009 rückte er in der neuen Koalitionsregierung unter
Regierungschef Klaus Tschütscher als Juniorpartner in das Amt des
Vize-Regierungschefs auf. Neu übernahm er die Ressorts Wirtschaft und
Bau. Das Ressort Verkehr, das Martin Meyer schon in seiner ersten
Amtsperiode leitete, führte er weiter.
exclusiv:
Gemäss Koalitionspapier zwischen der Vaterländischen Union (VU) und der
Fortschrittlichen Bürgerpartei vom 13. März 2009 stehen beide Partner
u.a. «gemeinsam für ein zukunftsgerichtetes und sich kontinuierlich
erneuerndes Liechtenstein» ein. An anderer Stelle verpflichten sich die
Koalitionspartner für eine kurz- und mittelfristige Umsetzung von
gezielten Massnahmen zur Aufrechterhaltung der gesamtgesellschaftlichen
Mobilität auf Basis des Gesamtverkehrskonzeptes «Mobiles Liechtenstein
2015» und dessen Weiterentwicklung. Am 8. Juni 2010 kündigte das
«Liechtensteiner Vaterland» eine Forderung der VU nach einem
«Gesamtverkehrskonzept» an. Wie steht der alte und neue Verkehrsminister
dazu?
Martin Meyer:
«Ich staune einmal mehr darüber, wie vergesslich manche Politiker sind,
wenn es darum geht, sich neu zu profilieren oder von anderen,
aktuelleren Themen abzulenken. Denn unseren Kollegen in der VU - ob
Landtag oder Regierung - ist selbstverständlich wohl bekannt, dass die
Forderungen nach einem Gesamt-Verkehrskonzept längst erfüllt sind. Im
Rechenschafts- bericht der Regierung an den Landtag über die Aktivitäten
im Jahre 2007 steht wörtlich: «…unter dem Titel ‹Mobiles Liechtenstein›
hat die Regierung das Ressort Verkehr (…) beauftragt, ein
Mobilitätskonzept (Gesamtverkehrskonzept) zu erarbeiten.» Das Konzept,
das praktisch auf alle Fragen eingeht, die nun neu von der VU-Fraktion
eingefordert werden, wurde am 30. September 2008 von der damaligen
Regierung genehmigt. Im Steuerungsausschuss, der sehr gute Arbeit
leistete, waren neben anderen auch der heutige Regierungskollege Hugo
Quaderer (VU) und der damalige Leiter des Tiefbauamtes, Johann
Ott, vertreten.»
exclusiv:
Sind Sie jetzt frustriert?
Martin Meyer:
«Keineswegs. Die liechtensteinische Innenpolitik treibt bisweilen
seltsame Blüten. Als Mitglied der Regierung darf man sich aber von
parteipolitisch motivierten Vorstössen nicht beeindrucken lassen. Die
heutige Mehrheitspartei will sich vor dem Stimmvolk profilieren. Das ist
legitim und gehört zum politischen Wettbewerb. Solche Aktionen lenken
von anderen Bereichen ab, um die es leider nicht so gut bestellt ist.
Ähnlich verhält es sich ja auch in der Gesundheitspolitik, für die ich
vier Jahre lang verantwortlich war. In der Amtsperiode 2005 bis 2009
wurden eine Reihe wichtiger Gesetze umgesetzt, die sich auf unser
Gesundheitswesen auswirken. Ich denke z.B. an die Modernisierung des
Gesundheitsgesetzes, an das Bekenntnis der Regierung zu einem eigenen
liechtensteinischen Landesspital, an die Reorganisation des Amtes für
Gesundheit oder an die Anstrengungen im Bereich der Prävention und
Gesundheitsvorsorge. Die Präventionskampagne ‹bewussterleben› sowie die
Einführung der neuen Vorsorgeuntersuchungen in Zusammenarbeit mit der
Ärzteschaft waren zwei Projekte, welche sehr erfolgreich waren.
Ausserdem haben wir damals bereits einen Bericht zur Gesundheitspolitik
verfasst, der teilweise von den gleichen Verfassern stammt, wie der
heutige Bericht. Der ‹alte› Bericht blieb nach dem Regierungswechsel
jedoch in der Schublade liegen.»
exclusiv:
Mit den finanziellen Mitteln sieht es inzwischen nicht mehr so rosig
aus. Liechtenstein lebt derzeit auf Pump. Grob gerechnet verursacht
unser Staat täglich (!) ein Defizit von gegen einer halben Million
Schweizerfranken: Zu Lasten unserer Reserven und Rücklagen. Nun soll
gespart werden; wie überall in Europa. Wie und wo sollen Ihrer Meinung
nun die Sparaktivitäten beginnen. In welchen Bereichen sollen vielen
vollmundigen Worten die konkreten Taten folgen, um den Fehlbetrag von
rund 180 Mio. Franken auszugleichen?
Martin Meyer:
«Jede Frau und jeder Mann weiss, dass man auf Dauer nicht mehr Geld
ausgeben kann, als man einnimmt. Dass auch unsere Regierung und unser
Land auf manchen Gebieten den Gürtel enger schnallen müssen, liegt auf
der Hand. Ich beneide den Regierungschef in seiner Funktion als
Finanzminister nicht um die von ihm geforderten Vorgaben für eine
möglichst ausgeglichene und möglichst gerechte Sparpolitik.
In den von mir geleiteten Ressorts habe ich schon vor der
Generalforderung nach Sparmassnahmen diesbezügliche Zeichen gesetzt. Ich
denke z.B. an die Korrektur bei der Überförderung von Solarzellen oder
an die Reduktion des Staatsbeitrags an die Busanstalt. Weitere
Einsparungen müssen nun auch aus anderen Ressorts kommen.»
exclusiv:
Denken Sie an mehr Steuereinnahmen oder an Kürzungen von
Sozialleistungen wie z.B. die 13. AHV-Rente oder die Kinderzulagen?
Martin Meyer:
«Bitte verstehen Sie, dass ich mich aus meiner derzeitigen Position
heraus nicht für Massnahmen stark machen kann und will, die in die
Ressorts der Mehrheitspartei und damit in erster Linie in die
Verantwortlichkeit der VU fallen. Abgesehen von der Erhöhung der
Mehrwertsteuer, die aufgrund unserer Abkommen mit der Schweiz parallel
zu vollziehen ist, halte ich Steuererhöhungen im jetzigen Zeitpunkt für
ein absolut ungeeignetes Mittel und lehne diese ab. Wir dürfen die
wieder auflebende, wirtschaftliche Konjunktur nicht durch neue
Steuerbelastungen abwürgen. Die Mindereinnahmen, z.B. aus dem
Gesellschaftswesen, die inzwischen insgesamt bis zu 40 % der früheren
Einnahmen ausmachen, müssen wir durch Innovation
und neue Modelle ausgleichen. Andernfalls verliert der Standort
Liechtenstein weiter an Attraktivität. Das wäre ziemlich das
Schlechteste, was wir erreichen könnten.»
Foto: Regierungschef-Stellvertreter Dr. Martin Meyer und Walter-Bruno
Wohlwend
Interview: Walter-Bruno-Wohlwend