
Aus der Regierung
Verantwortlich die Zukunft gestalten
Gespräch mit Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher anlässlich des Staatsfeiertages 2010
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher
Herr
Regierungschef, Ihre Amts- zeit war bisher keine Schönwetterzeit.
Verschiedene Krisen wie die globale Wirtschafts- und Finanz- krise, die
Schuldenkrise und die Eurokrise prägen das wirtschaftliche Umfeld
Liechtensteins. Macht regieren so noch Freude?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher:
Ja! Die Zukunft unseres Landes in Zeiten von Veränderungen und
Umbrüchen verantwortlich mitzugestalten ist eine faszinierende und
zugleich fordernde Aufgabe. Ich gebe Ihnen Recht, dass im Moment manche
Herausforderung zu bewältigen ist. Das gilt im übrigen nicht nur für
Liechtenstein. In Krisenzeiten muss die Politik in verschiedenen
Bereichen generell mehr Führungsverantwortung übernehmen. Das können Sie
derzeit auch in vielen anderen Ländern Europas beobachten.
Krisen verlangen nach Lösungen. Veränderungen rufen nach Reformen. Gibt es in Liechtenstein einen Reformstau?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher:
Es ist wie im Strassenverkehr: Stau bedeutet Stillstand. Für
Liechtenstein aber trifft dieses Bild nicht zu. Denn wir sind bereits
seit über zehn Jahren in einem permanenten und tiefgreifenden
Transformationsprozess unterwegs. Dieser schliesst naturgemäss
Reformbedarf in vielen Bereichen mit ein. Dazu zähle ich
aktuell das Steuerrecht, das Gesundheitswesen sowie die Regierungs- und
Verwaltungsreform. All diese Reformen sind nicht Selbstzweck. Das
oberste Ziel ist vielmehr, Liechtenstein für die Zukunft fit zu machen.
Was ist Ihre Zukunftsvision für Liechtenstein?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher: Wir
sind ein kleines, aber unglaublich reiches Land. Wir sind reich an
Ideen, wunderschönen Landschaften und innovativen Unternehmern mit
fleissigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als Kleinstaat haben wir
darüber hinaus eine historische Erfahrung im positiven Austausch mit der
Region, mit den drei unmittelbaren Nachbarländern Schweiz, Österreich
und Deutschland, ja mit der ganzen Welt. Auch darum gefällt mir die
chinesische Übersetzung von Liechtenstein anlässlich der derzeitigen
Weltausstellung EXPO 2010 in Shanghai «Emporragende Alpen - glänzender
Liechtenstein». So mindestens hat der chinesische Künstler und
Kalligraph Liang Guorong den Namen unseres Landes übersetzt. Mein Ziel ist es, alle positiven Kräfte unseres Landes zu mobilisieren und die Fokussierung dieser Kräfte auf die Lösung der wichtigsten Zukunftsaufgaben
zu verpflichten. Ich möchte, dass Liechtenstein ein besonderer,
moderner und zugleich traditionsbewusster Ort inmitten einer
wunderschönen Berglandschaft bleibt.
Was heisst das für die konkrete Arbeit in der Regierung?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher: Die
Regierung ist bekanntlich für vier Jahre gewählt. Angesichts der neuen
Aufgaben, denen sich die Politik im 21. Jahrhundert stellen muss, ist
das eine relativ kurze Zeit, wohl eine zu kurze Zeit. Die
Regierungsmitglieder haben deshalb gemeinsam die so genannte Agenda 2020
entworfen. Sie beinhaltet strategisch wichtige Fragen für die Zukunft des Landes, die über die laufende Amtsperiode hinaus sorgfältige Antworten einfordern.
Antworten auf welche konkreten Fragen?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher:
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In verschiedenen Klausurtagungen haben
sich die Regierungsmitglieder auch mit den Chancen des Kleinstaates im
Zeitalter der Internationalisierung befasst. Für uns
offensichtlich ist, dass die Finanzkrise die wirtschaftliche
Globalisierung gebremst hat. Im Gegenzug hat die politische und
rechtliche Verknüpfung der bisher weitgehend souveränen Staaten
spürbaren Rückenwind erhalten. Liechtenstein ist als Kleinstaat aber
nicht nur ökonomisch mit der Weltwirtschaft verflochten. Auch die
politische und rechtliche Integration ist auf internationaler und
regionaler Ebene weit fortgeschritten. Erfolgreich kann Liechtenstein
deshalb nur innerhalb dieser Globalisierung sein. Eine Alternative zur
wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Integration in die
Staatengemeinschaft gibt es nicht. Regulative Sonderlösungen sind nur
noch dort möglich, wo sie auf breite internationale Akzeptanz stossen.
Und was heisst das alles für die künftige Regierungsarbeit?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher: Die
Regierung muss zu den spezifischen Vorteilen des Kleinstaates Sorge
tragen und sie laufend stärken. Zu unseren Vorteilen zählen
Schnelligkeit, Verlässlichkeit, Stabilität, Sicherheit und
Vertrauenswürdigkeit. Aber auch der persönliche Kontakt zwischen den
Entscheidungsträgern macht intelligente Lösungen auf vergleichsweise
effiziente Art und Weise möglich.
Können sich die Regierungsmitglieder in ihren Ressorts bisher denn ausreichend um strategische wichtige Fragen überhaupt kümmern?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher:
Ganz ehrlich gesagt, nein. Alle Regierungsmitglieder müssen bisher
viele und wie wir meinen zu viele Entscheide auf Verwaltungsebene
treffen. Kurzum, wir müssen uns um zu viele Detailfragen kümmern und
entscheiden. Darum haben wir eine Regierungs- und Verwaltungsreform
eingeleitet. Sie soll unter anderem zu einer
Strukturbereinigung der Verwaltungseinheiten führen und die
verwaltungsbehördlichen Instanzenzüge reduzieren. Die Regierung will
damit die Effizienz der Verwaltung als Dienstleister
erhöhen, die Qualität der Aufgabenerledigung erhöhen, eine Reduktion der
Regulierungsdichte erreichen sowie das Verständnis der Verwaltung als
Dienstleister verbessern, dies alles auch im Interesse der Verwaltung
selbst.
Was sind aus Regierungssicht die strategischen Fragen für die Zukunft des Finanzplatzes?
Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher: Im Zuge der Finanzkrise werden inter- nationale Rechtsstandards zunehmend in internationalen Organisationen, in Ländergruppen
oder sogar unilateral von einzelnen Ländern gesetzt. Das ist die
Realität. Kleinstaatliche Spezialregulierungen werden dabei immer
weniger geduldet. Liechtenstein hat sich in den letzten Jahrzehnten im
Bereich der grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen für
ausländische Kunden einen hervorragenden Namen gemacht. Diese
Vertrauensbasis gilt es zu nutzen, gerade in einem geänderten Umfeld.
Dabei spielen neue Werte wie Nachhaltigkeit und
Steuerkonformität eine entscheidende Rolle. Mit anderen Worten,
wertbasiertes Anlageverhalten und langfristige Vermögenssicherung stehen
im Zentrum des Kundeninteresses. Dafür gilt es, auch neue
Geschäftsfelder zu eröffnen. So zum Beispiel in den Bereichen
Privatisierung der Gemeinnützigkeit, Klimawandel, Altersvorsorge oder
auch im Fonds- und Versicherungsbereich. Durch eine rasche und
innovative Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen werden wir als
Regierung weiterhin optimale Voraussetzungen für das Wachstum neuer
Geschäftsfelder auf dem Finanzplatz Liechtenstein schaffen.
exclusiv: Wir bedanken uns bei Regierungschef Dr. Klaus Tschütscher für dieses Gespräch.
fotos: © Z.V.g.