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«Das Leben ist keine Spekulation, ich schaffe reale Kunst»

 

 

 

 

 

Fürstentum Liechtenstein

«Das Leben ist keine Spekulation, ich schaffe reale Kunst»

Silvia Abderhalden im Interview mit Helmut Ditsch - Triumph der Malerei

Ergriffenheit und Staunen sind Schlüsselbegriffe für das Gesamtwerk und künstlerische Selbstverständnis des österreichisch-argentinischen Malers Helmut Ditsch. Der imponierende Naturalismus seiner Bilder ist allerdings lediglich eine visuelle Ouvertüre für jene nicht sichtbare, nonverbale Erfahrungsdimension, die sich dem Betrachter, kraft exzellenter künstlerischer Übersetzung  erschliesst. In den grossartigen Werken, die in langer, konzentrierter Arbeit entstehen, demonstriert die Malerei eindrucksvoll, dass sie trotz des vielstimmigen Konzerts neuer Medien immer noch einzigartig ist.

Herr Ditsch, Sie sind in Argentinien  geboren und aufgewachsen, haben in Wien an der Akademie der bildenden Künste studiert, lebten in Österreich, wo Sie auch familiäre Wurzeln haben, verbrachten viele Jahre in Irland, arbeiteten in den USA und hatten Ausstellungen in grossen Städten auf der ganzen Welt. Heute leben Sie im Fürstentum Liechtenstein.
Warum Liechtenstein und wie gefällt es Ihnen hier?
Helmut Ditsch:
Nach dem tragischen Tod meiner Frau im Jahr 2009, sie starb an Brustkrebs, genau so wie meine Mutter, die mit 33 Jahren gestorben ist als ich sechs Jahre alt war, bin ich in eine tiefe Trauer gefallen. Das Schicksal hat mich stark bewegt, dass ich meine so junge Partnerin hergeben musste und sie nicht das Glück hatte, welches ich habe. Ich habe das auch zurück produziert, dass meine junge Mutter so früh gegangen ist und ich bleiben durfte... und was bedeutet das für mein Leben? Die Suche nach dem Sinn des Lebens hat bei mir schon mit sechs Jahren begonnen, die Kunst war ein Weg. Auch im Extremsport habe ich einen Weg gesucht und gefunden, und durch die Berge fand ich den mystischen Weg, um diese ganzen Tragödien zu verstehen. Was und welchen Sinn hat Schmerz oder solche Grenzereignisse. In meinem Fall haben offensichtlich diese mir zwei so wichtigen Frauen meinen Weg vorbereitet. Meine Mutter, die ich ständig in meinen Werken sehe und so auch meine Frau, die mir den Rücken freigehalten hat, damit ich einen Pionierweg gehen konnte.
Ohne Mutter aufzuwachsen ist schwer. Wenn man als Künstler geboren wird und wer sagt Dir, dass Du ein Künstler bist. Ich war der älteste von drei Kindern, bin ganz normal in die Schule gegangen, habe viel Sport gemacht, gemeinsam mit meinen Geschwistern. Mein Vater konnte es nicht erkennen, dass ich mich seit meiner Geburt inspiriert fühlte. Es gab nicht diesen einen Moment, es war nicht der Tod meiner Mutter, der mich inspiriert hat Künstler zu werden, sondern ich wurde mit dem was ich habe schon geboren und die schweren Ereignisse haben die Sache nur katapultiert.

Nach dem Tod meiner Frau war mir bewusst, dass ich aus der tiefen Trauer nicht rausfinde, wenn ich weiterhin an den Plätzen lebe, wo ich mit ihr zusammen war.
In guter Erinnerung hatte ich Liechtenstein. Ich weiss nicht mehr wie lange es her war, dass ich ein paar Mal hier war. Durch die Albertina lernte ich Dr. Batliner kennen und als Dank seitens der Albertina durfte ich für ihn ein Bild malen mit dem Schloss Vaduz. Ich bewarb mich bei der Auslosung für eine Aufenthaltsbewilligung und wurde gelost. Erstens war ich sehr  erstaunt und zweitens war ich sehr glücklich! Es war das erste Mal, dass ich so etwas wie ein Geschenk vom Glück  bekommen habe, ich wusste, jetzt passiert etwas Gutes in meinem Leben.

Welche Eindrücke und Erfahrungen konnten Sie bis jetzt in Ihrer neuen Heimat sammeln?
Das Treffen mit Hanspeter Walch, dem damaligen Leiter des Ausländer- und Passamtes, der mich empfangen hat und mir meine Dokumente überreichte, war eine sehr ausschlaggebende Begegnung. Ich wurde mit offenen Armen empfangen, Hanspeter Walch war so herzlich und unsere Gespräche von einer sinnlichen Tiefe, dass ich mich Zuhause fühlte in meiner neuen, alten Heimat. Alte Heimat, weil meine Grossmutter mütterlicher Seite aus St. Gallen kam. Sie kannte offensichtlich auch diese Gegend hier, sie wuchs hier auf bis sie dann im Teenageralter, wie so viele andere Schweizer, Österreicher, Liechtensteiner und deutsche Bauern in den 20er Jahren ausgewandert ist. Wir kennen «Marxer» in Argentinien, ehemalige Liechtensteiner, mittlerweile die dritte Generation. Und das selbe Schicksal dieser vielen Bauern die auswanderten, teilte auch meine Familie.

Finden Sie in Liechtenstein und der  Region auch Sujets für Ihre Bilder?
Ein Teil von dem, was ich noch nicht fertig gemalt habe, ist die Thematik der Berge, die ich hier in der ganzen Region finde. Mystische Sujets, mystische Berge, auch das Matterhorn ist hier! Ein Mythos, das in der ganzen Welt bekannt ist, ein echtes Naturwunder, das so glaube ich, lange auf mich gewartet hat und jetzt bin ich hier um «ES» zu malen.

Die thematischen Untergruppen Ihrer Werke sind Berge, Wüsten, Eis und Wasser, wann und vor allem wo finden Sie die Inspiration zum Malen?
Ich gehe in die Natur, um mir Motive zu ereignen (vor Augen führen), im Sinne Martin Heidegger, Ereignis als Notwendigkeit. Man kann ein Abenteuer haben, man kann ein Erlebnis in der Natur haben, aber erst wenn sich dieses Erlebnis auch ereignet hat, kann man es in Form von Kunst wiedergeben. Und wer es auch nicht in Kunst wiedergeben kann, kann zumindest eine Verklärung erleben von dem, was die Natur in Zusammenhang mit der Aktion bietet, das Leben bietet das an.

Es ist eine grosse Herausforderung, nicht nur eben auf einen Berg zu gehen sondern diesen mystischen Moment zu erleben! Sich selbst zu überwinden, alle Grenzen zu durchbrechen und sich diese Situation dann eigen zu machen. Meine Sujets, meine Motive beruhen alle auf dieser Basis der Dreidimensionalität. Warum es so extrem plastisch ist, hat mit dieser Erfahrung zu tun. Es ist aber auch ein verklärtes Erlebnis, weil ich immer nach jeder Bergtour einen grossen Abstand gebraucht habe, bis ich den Berg malen konnte. Das Erlebnis ist so nahe, dass ich es erst in einem längeren Prozess verstehen und lieben konnte, um es dann so zu malen, wie ich es gemalt habe.
Darum musste ich Bergsteiger werden, ich musste Schwimmer werden, weil es der Ausgangspunkt für die extremen Erfahrungen ist. Wenn man Wasser malt, muss man das Wasser auch verstehen, man muss wissen, was dieses Element ist und man muss es spüren. Zum Beispiel meine Eisbilder provozieren beim Betrachter einen Effekt des frischen (kühlen) Erholens. Die Farben aber, die ich verwende, sind alle sehr warme Farben, weil ich auch in meinen Erinnerungen das Eis bei meinen Eisklettertouren nie als Kälte erfahren habe sondern im Gegenteil als eine Art Feuer. Ich war oft im Eis, habe mich mit dem Eis sehr stark beschäftigt und habe auch sehr viele Eisdurchquerungen gemacht. Wer meine Eisbilder betrachtet erkennt, dass ich das Eis kenne.

Haben Sie eine genaue Vorstellung von einem Bild, wenn Sie anfangen zu malen?
Ich habe einen ganz klaren dreidimensionalen Film vor mir. Nicht nur ein starres Bild. Bevor ich überhaupt anfange zu malen muss ich eine genaue Vorstellung haben, weil sich dann sehr viel abspielt. Ein Gemälde zu machen ist nicht einfach etwas abzuzeichnen. Es ist eine innere Umwälzung an Gefühlen und Erinnerungen, die auf einer neuen Ebene beginnt, mit einer weissen Leinwand. Im Zuge einer enormen psychischen und physischen Anstrengung entsteht eine neue Welt und dafür muss man trainiert sein. Ich muss psychisch und physisch fit sein, um mich an ein solches Abenteuer zu wagen. Man könnte sich das im Vergleich mit einem Flug ins Weltall vorstellen. Man hat das Ziel, bis zum Mars und retour zu fliegen und möchte es ja auch überleben und allen erzählen. So wie ich mein Gemälde auch überleben möchte, also bis zum Ende kommen muss.

Eines Ihrer seltenen Hochformate «Das Eis und die vergängliche Ewigkeit» (730 cm x 290 cm) oder Los Hielos (150 x 750 cm) oder Your Sign (800 x 360 cm) um unseren Leserinnen und Lesern eine Vorstellung der Grösse Ihrer Bilder zu vermitteln. Betrachtet man Ihre  faszinierenden Gemälde stellt sich die Frage, wo fangen Sie an und wie entsteht ein solches Kunstwerk von oftmals monumentalen Ausmassen?
Die grossen Formate beruhen auf ebenso grossen Ereignissen. Das heisst die Formate sind das Mindestmass, das mir zur Verfügung steht, um das wiederzugeben, was ich mir ereignet habe und das Werk kann nur so gross sein, wie man sich das vorstellen kann. Die Vorstellungskraft muss auch mit der physischen und psychischen Verfassung zusammen passen.

Welche Techniken bevorzugen Sie und warum?
Die Nass-in-Nass-Technik ist eine Maltechnik, bei der in die noch nicht getrocknete Farbe hinein gemalt wird. Die Sauerstoffzufuhr ins Öl darf maximal drei Tage sein. Bei gewissen Pigmenten ist es schon viel früher, dass die Farbe zäh wird. Ich muss meinen Biorhythmus dem Ziel unterordnen, das ist was am meisten weh tut auch körperlich, wenn man beginnt. Dann aber kommt eine Phase des Glücks und dies ist durch die Produktion der Endorphine und des Adrenalins.

Was war für Sie persönlich das grösste Kompliment an Ihre künstlerischen Arbeiten, das gesagt oder geschrieben wurde?
Während einer Ausstellung haben die Leute darüber diskutiert, ist es Fotorealismus, ist es Hyperrealismus oder ist es einfach Realismus... Zwei kleine Mädchen, ungefähr fünf Jahre alt, kamen Hand in Hand auf mich zu als wären sie von einem Engel geschickt worden, ziehen an meinem T-Shirt und sagten zu mir: «Wir sagen dir was du malst, du malst Fenster!» Genau, die zwei kleinen Mädchen hatten es erkannt, sie sehen die Welt auf meinen Bildern wie durch ein Fenster. Ganz klar und eine perfekte Synthese. So denkt nur ein Kind oder ein Mensch, der noch unbelastet ist von jeder Erziehung, ohne Vorurteile und ohne vorgepasste Meinung.

Gibt es Menschen, die Ihre Kunst beeinflusst haben?
Es sind historische und aktuelle Menschen. Sicher, Leonardo da Vinci als Künstler der Künstler, Vermeer als der Maler, welcher meine Technik sehr beeinflusst hat, Segantini der mir die wunderschöne Leidenschaft der Alpenmalerei gezeigt hat und mich dahingehend beeinflusst hat. Gerhard Richter und Franz Gertsch, zwei Zeitgenossen, die mir bestätigten, dass ich auf dem rechten Weg bin. Ich bin sehr beeinflusst oder markiert von Nitzsches Philosophie, Richard Wagner gehört dazu als musikalisches Phänomen, als universelles Phänomen der Musik. Reinhard Messner als der letzte Abenteurer, der mich in meiner Jugend schon sehr beeinflusst hat, das heisst auf meinem mystischen Weg.

Wenn Sie sich auf der ganzen Welt eine Person aussuchen dürften für ein Gespräch am runden Tisch, wer wäre Ihr gegenüber und warum?
Das wäre Lionel Messi und ich würde ihn fragen von welchem Stern er wohl stammt.

Auf Ihrer Homepage steht zu lesen: «Helmut Ditsch tourt seit Jahren durch verschiedene Länder und führt selbstorganisierte Ausstellungen im öffentlichen Raum durch, die ein Betrachten seiner Kunstwerke ohne Entgelt ermöglichen. Er wählt dabei oft ungewöhnliche Plätze inmitten von Armenvierteln aus und bringt so Kunst zu jenen Menschen, die keinen Zugang zu den klassischen Kunsteinrichtungen haben. Der Erfolg dieser Ausstellungen mit hunderttausenden, begeisterten Menschen war stets überwältigend und berührte Helmut Ditsch in seinem Denken nachhaltig.»
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie diesen doch eher unüblichen Weg wählten, um die Menschen an Ihrer Kunst teilnehmen zu lassen?

Ich fühle mich den Menschen und der universellen Kunst verpflichtet und verbunden und mit Menschen meine ich alle, nicht eine Gruppe. Als ein «independent artist» habe ich das so entwickelt, dass ich als komplett unabhängiger eine   Karriere gemacht habe. Und ich gehe dort hin, wo die Menschen tatsächlich sind, nicht nur Gruppen von Menschen, Experten oder Fachmenschen. Wichtig  ist mir, ich habe mich der universellen Kunst verschrieben und nicht der spekulativen Kunst. Der Begriff Kunst wurde in den letzten Jahrzehnten sowas von gummiverzehrt im Sinne von ausgedehnt und abgespannt, dass man heutzutage alles mögliche als Kunst findet, auch die Nicht Kunst. Ich versuche den Begriff Kunst zu definieren: es gibt offensichtlich eine Kunst, die universell ist, die zeitlos und unabhängig vom Schöpfer ist, die jedes Volk versteht und es gibt eine andere Kunstform, die sich in den letzten Jahrzehnten gebildet hat, die rein spekulativen Phänomenen entspricht. Kunst, die einen Übersetzer braucht. Ich nenne diese Kunst auch Intensivstation Kunst, d. h. es braucht eine Reihe von Experten, die «diesen Patienten» am Leben erhalten. Viel Luxus, viel Museum, sehr wenig Menschen.

Die 17. Internationale Kunstmesse «ART INTERNATIONAL ZÜRICH» präsentiert vom 16. bis 18. Oktober 2015 im Zürcher Kongresshaus internationale Gegenwartskunst. Sie sind das erste Mal an dieser Schweizer Kunstmesse vertreten. Welche Motive dürfen die Besucher erwarten?
Die ARTFACTORY Club ist die Galerie, die mich weltweit auf Messen vertritt. In Zürich stellt sie eines meiner wichtigsten Eismotive und eines meiner ersten Schweizer Motive, das Matterhorn vor. Ich freue mich auf diese Ausstellung und werde in Zürich auch anwesend sein. Mehr Informationen unter: www.artfactory.club

Sie gehören unter den Kunstschaffenden zur Elite, sind ein international anerkannter Maler und Designer, haben ein Buch (Triumph der Malerei) veröffentlicht, wurden geehrt und ausgezeichnet. Ihre Biografie liest sich wie ein spannender Roman. Welche Wünsche, Träume und Ziele haben Sie für die  Zukunft?
Mich weiter selbst zu überraschen mit allem was möglich ist. Konkrete Pläne sind an der Universität in Argentinien eine neue Fakultät für Bildende Kunst zu schaffen, die ich leite. Ich mache meine ersten Erfahrungen als Architekt beim Bau eines Auditoriums und ich verwirkliche mein erstes Musikalbum hier in Liechtenstein, weil ich es hier fertig komponiere.
Und als letztes und wichtigstes, ich möchte einen Beitrag an die Kultur in Liechtenstein leisten. Ich werde mein Atelier öffnen und ab heute für alle zugänglich machen. Nicht die Galerie ladet ein, ich lade ein und damit Sie  mich auch sicher in meinem Atelier antreffen bitte ich um Anmeldung.             

Terminvereinbarung für einen Besuch bei Helmut Ditsch im Atelier per Mail unter: atelier@helmut-ditsch.com

(Die Bilderklärung entspricht der Reihenfolge der abgebildeten Bilder von Seite 8 - Seite 13).
2001, Point of no Return, Oil and acrylic on canvas, 150 x 600 cm
2005, Das Meer II, Oil and acrylic on canvas, 150 x 600 cm
2000, Ten commandments II, Oil and tempera on wood, 130 x 210 cm
2003, Traunsee, Oil and acrylic on canvas, 150 x 220 cm
2009, GLACIAR PERITO MORENO, 50°29´22" SUR  73°02´48" OESTE, 16.12.2005  3:57 PM Oil on canvas, 150 x 230 cm
2002, Los Hielos, Oil and acrylic on canvas, 150 x 750 cm
2006, The Triumph of Nature, Oil and acrylic on canvas, 130 x 400 cm Fotos: © artfactory

Silvia Abderhalden bedankt sich bei Helmut Ditsch für das Gespräch.
fotos + text: © exclusiv                                                

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