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Der «Goldstandard» war stets die Feldforschung vor Ort. Da nun auch in den letzten Regionen, in denen Tracht im Alltag getragen wurde, keine Trachtenträger/innen mehr Auskunft geben können, sind Museen vermehrt in die Pflicht genommen, unser kulturelles Erbe bestmöglich zu dokumentieren. Leider ist auch schon in frühen Sammlungen vor und um 1900 oft wenig an Kontext erhalten, was Recherchen, meist über Vergleichsstücke und oft damals schon inszenierte, also nicht authentische Bilddokumente sehr aufwändig macht. Neben Museen waren die Trachtenverbände, Privatsammler/innen, ältere Goldschmiede und Goldschmiedinnen und viel frühe Literatur aufschlussreiche Informationsquellen.

Wie entstand der vielseitige und reich illustrierte Katalog zur Ausstellung? Was passiert, wenn man ein solch vielfältiges Werk angeht?
Der Katalog wurde ermöglicht durch das tatkräftige Engagement von Professor Dr. Rainer Vollkommer und die finanzielle Unterstützung der H.E.M. Stiftung, der Oerlikon Balzers AG und der RHW Stiftung. Die eigentlichen Vorarbeiten umfassten etwa drei Jahre und zwei kleinere Vorläuferausstellungen im Museum für Europäische Volkstrachten in Wegberg-Beeck 2018 und 2019. Ein derart umfangreiches Werk entsteht meist durch die Mitarbeit vieler Menschen und durch deren Begeisterung und Commitment. Obwohl ich alle Texte selber geschrieben und die Objekte recherchiert habe, gab es sehr viel Hilfe von anderen Fachleuten für die jeweiligen Spezialgebiete.

Der Katalog ist reich illustriert mit Bildern. Erzählen Sie uns etwas über die Zusammenstellung, die Arbeit zwischen Grafiker, Fotografen und Modellen und Übersetzer?
Die Fotografien entstanden über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren, sieben Fotografen und Fotografinnen waren beteiligt. Mittlerweile existiert sehr viel an unterschiedlichem Bildmaterial, sodass die Auswahl nicht einfach war, genau wie bei den Objekten. Wir hatten als Ziel, die Lebendigkeit der Tracht und ihre zeitlose Schönheit zu zeigen. Meine Töchter haben sich als Modelle eingebracht. Die Grafikerin hat in minutiöser Detailarbeit das bewusst sehr unterschiedlich gewählte Bildmaterial in einem schlüssigen Gesamtkonzept integriert. Da wenig englischsprachige Literatur zum Thema existiert, war die Fachübersetzung sehr anspruchsvoll und erforderte viel Feingefühl und inhaltliche Recherchen.

Wie kam die Ausstellung in Liechtenstein zustande?
Die Unterstützung des Liechtensteinischen Landesmuseums und der Liechtensteinischen Trachtenvereinigung haben letztendlich die Ausstellung möglich gemacht. Die sehr schönen Liechtensteiner Trachten sind ein faszinierendes Beispiel für stilsicher nach historischen Vorbildern erneuerte Trachten. Liechtenstein ist zudem umgeben von zahlreichen, z. T. sehr alten Trachtengebieten, in denen wie im Fürstentum selber bis heute die Brauchtumspflege hochgehalten wird. Ein Teil meiner       Familie lebt im Land, ein anderer Teil in Osttirol, Vorfahren kamen aus Westfalen, dem Elsass, von der Mosel. Der Wunsch, Trachtenregionen in Kontakt zu bringen, Tracht zu leben und zeitgemäss weiter zu entwickeln, stand am Anfang der Kooperation. Die Idee ist, regionale Besonderheiten zu zeigen und überregional den Blick zu öffnen, einen Raum für Begegnungen zu schaffen und Netzwerke zusammenzuführen. In Zeiten der Globalisierung gewinnt Rückbesinnung auf die Heimat bei gleichzeitigem kulturellen Austausch einen hohen Stellenwert.

Was waren die grössten Herausforderungen?
Wenn man jahrelang sehr tief im Thema ist, verliert man leicht den Blickwinkel der fachfremden Betrachtenden. Tracht und  regionaler Schmuck kommunizieren Vorstellungen und kulturelle Konzepte, die in der heutigen Makrokultur oft nur noch rudimentär verankert sind. Das althergebrachte aber komplexe Thema des Lebenslaufes in einem neuen kulturübergreifenden Ansatz anzugehen, streift viele Bereiche wie religiöse Konzepte, Genderthemen, Menschen- und Weltbilder, regionale Besonderheiten, Kulturkontakte usf.
Es ist nicht einfach, materielle Kultur vergangener Zeiten für das Verständnis des modernen Menschen fruchtbar zu machen. Dieses «Übersetzungsproblem» betrifft die meisten Gebiete musealer Arbeit: Wie bringe ich das Objekt zum Sprechen? Wie vermittelt man grundlegende Inhalte ohne das feine Nuancen verloren gehen? Man befindet sich hier auf einer ständigen Gratwanderung.
Die grösste Herausforderung ist das Gewinnen junger Menschen für das Thema Tracht, Volkskultur und Museum. Die «Inszenierung» von Tracht und zugehörigem Schmuck als immer noch oder wieder salonfähige Kleidung ist eine fordernde Aufgabe.

Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist eine solche grosse Sammlung über die Grenze zu bringen, braucht es hier Zolllisten und andere Bewilligungen?
Jedes Objekt muss mit Foto, Wert und Beschreibung gelistet  werden; so entsteht fast ein eigenes Buch. Viele Stücke brauchen wegen Kulturgüter- und v. a. Artenschutz eigene Gutachten, so z. B. antike Schmuckobjekte mit Korallen.

Gibt es Exponate, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen sind (Lieblingsstücke)?
Ich liebe sie alle, auch die kleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge, die seltenen, kuriosen vielleicht nicht auf den ersten Blick «schönen» Stücke, prototypische Objekte und Ausnahmen,  Bindeglieder in Formentwicklungen, einfache Varianten teurer Stücke, moderne Weiterentwicklungen… wenn man in ineinandergreifenden Systemen denkt und fühlt, ist das eine wirklich schwierige Frage.

Faszination Trachten und Schmuck – sie tragen den Geist ihrer Hersteller – ihrer Vorbesitzer – Geschichten aus den jeweiligen Leben – eine ganz besondere Geschichte oder Begebenheit, die Sie unseren Leser/innen erzählen können?
Es gibt viele Biographien von Frauen, die mich sehr berührt haben. Tapfere Frauen, die trotz zahlreicher Widrigkeiten, viel Arbeit und eines sehr harten Lebens in Würde alt wurden. Tracht tragen und herstellen erfordert und bewirkt Resilienz. Diese Frauen haben unbeirrbar an ihren Werten festgehalten und danach gelebt. Die Filigranistin von der Insel Föhr, die im Buch mehrfach vorkommt, blieb bei der aufwändigen Technik ihrer Arbeiten und ist mit 79 Jahren immer noch tätig. Viele der Menschen, die sich mit Trachten beschäftigen, widersetzen sich bewusst übermässiger Kommerzialisierung. Sie sind nicht «käuflich», sie leisten auf ihre Art oft unter grossen persönlichen Opfern und mit viel Fleiss Widerstand gegen Entfremdung, kulturelle Vereinheitlichung und Massenproduktion. Es ist eben diese nur noch selten zu findende Ausdauer und Konsequenz, die in unsere schnelllebige Zeit manches hinübergerettet hat.

Was ist eigentlich «Tracht»?
Zunächst schlicht alles, was man «trägt». Festtagstrachten sind von der Qualität der verwendeten Materialien, dem handwerklichen Aufwand und unter Aspekten der Nachhaltigkeit kaum zu übertreffen. In einigen Objekten steckt wochenlange Handarbeit. Manche Stücke haben trotz des häufigen Tragens 200 Jahre in respektablem Zustand überlebt. Trachten konservierten oft das lokal empfundene «Best of» der jeweiligen Mode wie z. B. Elemente aus der höfischen spanischen Mode oder aus dem Barock. Dann kamen eigene Entwicklungen hinzu. Eine Herausforderung für heutige Vereinstrachten ist für einige die manchmal fehlende Nonchalance und auch die oft nur bedingte Alltagstauglichkeit. Trachtenträger/innen in früheren Zeiten, die ausschliesslich und ein Leben lang Tracht trugen, variierten ihre Trachten und passten sie ihren Bedürfnissen an. Die Individualität dieser «gewachsenen» Trachten und ihre Veränderung im Lauf des Lebens, sozusagen die «Biografie» der Tracht selber, sind auch Thema der Ausstellung.

Die Exponate der Ausstellung geben einen kulturellen Einblick in die Geschichte, repräsentieren Tradition und spiegeln Identität. Warum fasziniert uns dieses Thema so?
Das Bedürfnis des Menschen nach Zugehörigkeit ist wohl ange-boren. Familie, Gemeinschaft, kulturelle und regionale Identität,

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Briefmarken zur Ausstellung «Glanz im Fluss der Zeit – Ländlicher Schmuck und Tracht im Lebenslauf»

Gewichtiger Zierrat: Fibelgehänge  «Schildkröte», rund zwei Kilo Silber, Korallen, Nordmarokko, um 1900

Unter göttlichem Schutz: Festgürtel, Arbëresh, Sizilien, Silber, Anfang 20. Jh.

Variationsreichtum: Geschnürstifte, Silber u. a., teils vergoldet, Glas, Halbedelsteine, 19. u. 20. Jh., Foto: © Peter Ernst

Hingucker: Grosse Goldkugelkette, Silber vergoldet, Niedersachsen, 1877

Frühes Prestigeobjekt: Osmanische Gürtelschliesse, Koralle, Email, Silber vergoldet, 18. Jh.

In den Alpen heimisch gewordene Filigrankunst: Nidwaldner Halsbätti, Silber vergoldet, Ende 19. Jh.

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