Zum Inhalt springen

Ist Volkes Stimme
wirklich «Gottes Stimme»?



Fürstentum Liechtenstein

Ist Volkes Stimme wirklich «Gottes Stimme»?

Gedanken zum liechtensteinischen Staatsfeiertag von Walter-Bruno Wohlwend

Wissen Sie, geschätzte Leserinnen/Leser, was «Ochlokratie» heisst? Ich hatte es auch vergessen. Im Fremdwörter-Duden kann man nachschlagen.
Unter Ochlokratie verstand man im alten Griechenland eine «zur Herrschaft der Massen entartete» Volksherrschaft. Eine negative Interpretation also des Begriffs Demokratie, den wir alle so häufig in den Mund nehmen. Von der Ochlokratie redet niemand mehr. Sowohl der Begriff selbst und seine Interpretation sind aus der Alltagssprache verschwunden. Heute gelten die Volksherrschaft, und damit Volksabstimmungen und Volksbefragungen, als höchste Form der Demokratie. Namentlich in der Schweiz, wo Volksabstimmungen auf dem Papier politisch verbindlich sind und - mit Einschränkungen - auch in Liechtenstein. Der Staatsfeiertag 2013 ist ein willkommener Anlass, um die Bedeutung von Volksabstimmungen kritisch zu hinterfragen.

Sechzehn Volksabstimmungen in zehn Jahren
Allein in den letzten 10 Jahren, zwischen 2002 und 2012 wurden die liechtensteinischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sechzehn (!) Mal an die Urnen gerufen. Die Themen, über die «das Volk» zu entscheiden hatte, waren sehr unterschiedlich. Unterschiedlich war auch das Interesse daran, das sich an der jeweiligen Stimmbeteiligung ablesen lässt (siehe Box).
Am wenigsten Stimmberechtigte konnte das Referendumsbegehren betreffend der Abänderung des Gesetzes über die Hundehaltung mobilisieren (2006 - 58,3%) gefolgt von der Abstimmung über das Raum-planungsgesetz (2002 - 61,6%). Beide Vorlagen wurden übrigens angenommen.

Staatliche Ordnung auf dem Prüfstand
Mit den höchsten Stimmbeteiligungen im erwähnten Zeitraum, nämlich  87,7% bzw. 82,9 % sind die Verfassungsvorlagen von 2003 und 2012 in die jüngere Geschichte unserer Demokratie eingegangen. 2003 wurde die Verfassungsinitiative des Fürsten und Erbprinzen deutlich angenommen, 2012 die Initiative zur Schmälerung des fürstlichen Sanktionsrechtes («Veto») dagegen mit überwältigendem Mehr verworfen.
Ob vom Parlament direkt angeordnet oder durch ein Referendum bzw. eine Initiative erzwungen, wird Volkes Stimme als geflügeltes Wort seit dem Mittelalter oft als «Gottes Stimme» (vox populi vox dei) interpretiert. Sind die Ergebnisse von Volksabstimmungen wirklich der Weisheit letzter Schluss? Auch wenn sie im Zweifelsfalle nur mit einer Stimme Mehrheit zustande kommen?

Vorbild Schweiz - mit Einschränkungen
Vorbild für unsere direkte Demokratie ist die Schweiz. Sie stand zweifellos Pate bei der Entstehung der liechtensteinischen Verfassung von 1921 und ihren direkt-demokratischen Merkmalen (Art. 64/66). Freilich mit der Einschränkung, dass Liechtenstein im Gegensatz zur Eidgenossenschaft eine konstitutionelle Erbmonarchie ist. Die Entscheidung über die definitive Annahme eines Volksentscheids liegt beim Landesfürsten bzw. seinem Stellvertreter (Sanktions-Recht, Verfassung, Art. 9).

In der Geschichte unserer Demokratie hat der Landesfürst das Sanktionsrecht allerdings erst einmal verweigert: Im Dezember 1961 als Fürst Franz-Josef II. die Umsetzung eines knappen Volksentscheids zur Einführung der Patentjagd verhinderte. Nur drei Monate später, Ende Februar 1962, konnten die Stimmbürger dann über eine weniger radikale Änderung des Jagdgesetzes abstimmen. Die neue Vorlage, die heute noch den gesetzlichen Rahmen für die Jagd im Lande darstellt, fand eine klare Mehrheit.

Schwangerschaftsabbruch und Demokratiefrage
Im Hinblick auf ein Initiativbegehren zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kündigte Erbprinz Alois vorvergangenes Jahr an, dass er einem diesbezüglichen Gesetz grund- sätzlich die Sanktion verweigern würde. Die Volksabstimmung über «Hilfe statt Strafe» fand am 18. September 2011 statt.     
Die Stimmberechtigten lehnten das Initiativ-Begehren mit 7'499 Nein gegen 5'411 Ja ab. Die Frage der Sanktionierung hatte sich damit von selbst erledigt. Nicht für die «Demokratiebewegung in Liechtenstein» (DiL). Sie nahm den Ausgang der Volksabstimmung über den Schwangerschaftsabbruch zum Anlass, um die Demokratiefrage im Land erneut zu thematisieren.

Verfassungsinitiativen 2003 und 2012: Angst geschürt?
Mit grossem Einsatz und Aufwand wurden Unterschriften für eine Verfassungsinitiative gesammelt, um das Sanktions- recht des Fürsten im Rahmen einer Volksabstimmung einzuschränken. Über die Initiative «Damit deine Stimme zählt» wurde am 1. Juli 2012, also wenige Wochen vor dem Staats- feiertag 2012 abgestimmt. Das Resultat (11'681 Nein gegen 3'602 Ja) wurde zu einem Desaster für die Demokratiebewegung. In ihrem Jahresbericht 2012  begründete sie den Ausgang der bisher letzten Volksabstimmung u.a. mit den Sätzen: «Leider hat sich - wie von einigen Wenigen vorausgesagt - bewahrheitet, dass die Nachwirkungen der Verfassungsabstimmung von 2003 noch deutlich zu spüren sind. Dazu kommt, dass es die Gegenseite auch dieses Mal wieder gezielt vermied, auf unsere Argumente auch nur ansatzweise einzugehen…»
Ähnlich wie im Jahre 2003, als das Volk dem Verfassungsvorschlag des Fürstenhauses mit überdeutlicher Mehrheit zustimmte. Damals begründete die Demokratiebewegung das - aus ihrer Sicht - negative Ergebnis damit, dass es dem Fürsten gelang, «die Angst im Volk zu schüren» (Originalzitat).

Direkte Demokratie
kann lästig sein

«Direkte Demokratie kann für die Regierenden manchmal lästig und unangenehm sein», zitiert die Demokratiebewegung auf ihrer Webseite einen Schweizer Staatsrechtler. Nur für die Regierenden? Was ist mit den anderen, die über den Weg der Volksabstimmung den Anfang einer Systemänderung erzwingen wollten und damit gescheitert sind?

Nicht alles ist legitim

Trotz der hohen Bedeutung, die wir den Volksabstimmungen zumessen, dürfen wir die problematischen Seiten nicht ignorieren, die diesem politischen Instrument ebenfalls innewohnen. Von alt Bundesrat Moritz Leuenberger stammt der Satz: «Nicht alles, was eine emotional aufgeputschte Mehrheit will, ist legitim.» (Zitat aus einem Aufsatz über die direkte Demokratie im deutschen Kulturmagazin «Die Gazette», Nr. 30, 2011.) Häufig genug kommt es vor, dass die (an sich bindenden) Ergebnisse von Volksentscheidungen nachträglich von der Politik wieder verwässert werden. Nehmen wir die Volksabstimmung über den Verpflichtungskredit von 17,4 Mio. Franken für den Bau eines Kunsthauses in Vaduz. Sie fand am 7. September 1980 statt. Der Kredit wurde mit 1'864 Ja gegen 1'838 Nein gutgeheissen.
Das Projekt wurde nie realisiert. Mit der Begründung, dass es politisch nicht machbar sei! Leider gab es niemanden, der diese Form der Missachtung des Volkswillens durch die Politik an den Pranger stellte. Fürst Franz-Josef II. (1938-1989) war bereit, rund 200 Werke aus den weltberühmten Sammlungen des Fürstenhauses als Exponate zur Verfügung zu stellen. Inzwischen können wir die Fürstlichen Sammlungen in Wien bewundern.

Wenn die Politik am Ende des Lateins ist
Je öfter die Politik am Ende ihres Lateins ist, desto lauter werden die Forderungen nach Volksabstimmungen. In unserem Land erleben wir es aktuell im Zusammenhang mit der angeschlagenen Pensionsversicherung («Was ist nun mit der Volksinitiative», Leserbrief in den Landeszeitungen am 10. April 2013) oder «Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Volksabstimmung» (Regierungschef Adrian Hasler zur geplanten Entflechtung von Kirche und Staat in der «polit-zeit» vom 16. Juni 2013).

Auf ein fröhliches «Fürstenfest»
«Die Demokratie ist eine Einrichtung, die es den Menschen gestattet, frei zu entscheiden, wer an allem schuld sein soll.»  Ein anonymes Zitat, mit dem wir den Exkurs über die Bedeutung der Volksabstimmung abschliessen wollen.          

Viel Vergnügen beim Fürstenfest 2013!
Fürstlicher Rat Walter-Bruno Wohlwend  

Volksabstimmungen seit 2002


2002: Kredit für das Festival «The Little Big One» (abgelehnt)

2002: Verfassungsänderung «Verkehr» (abgelehnt)

2002: Raumplanungsgesetz (abgelehnt)

2003: Verfassungs-Initiative Fürstenhaus (angenommen)

2004: Obligatorische Unfallversicherung (abgelehnt)

2004: Erweiterung des Polizeigebäudes (abgelehnt)

2005: Verfassungsinitiative «Für das Leben» (abgelehnt) Gegenvorschlag des Landtages angenommen.

2006: Gesetz über das Halten von Hunden (angenommen)

2009: Schulgesetzänderung (SPES I) (abgelehnt)

2009: Nichtraucherschutz und Werbung (angenommen)

2009: Grenzwerte Mobilfunkanlagen (angenommen)

2010: Kredit Industriezubringer Schaan (angenommen)

2011: Eingetragene Partnerschaften (angenommen)

2011: Schwangerschaftsabbruch (abgelehnt)

2011: Kredit Spitalneubau (abgelehnt)

2012: Einschränkung Sanktionsrecht (abgelehnt)

©  fotos: exclusiv, text: fürstlicher rat walter-bruno wohlwend,
quellenangaben: statistisches jahrbuch, wikipedia
                         

Footer