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Interview mit Regierungschef Dr. Daniel Risch

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Im Blick des Regierungschefs: Chancen, Perspektiven, Prioritäten und Herausforderungen – Silvia Abderhalden im Gespräch mit Regierungschef Dr. Daniel Risch

Im Blick des Regierungschefs: Chancen, Perspektiven, Prioritäten und Herausforderungen – Silvia Abderhalden im Gespräch mit Regierungschef Dr. Daniel Risch

Silvia Abderhalden im Gespräch mit Regierungschef Dr. Daniel Risch
Silvia Abderhalden im Gespräch mit Regierungschef Dr. Daniel Risch

Regierungschef Dr. Daniel Risch war kürzlich in Berlin und hat dort unter anderen Terminen eine Einladung zum Politik-Podcast «unter 3» von phoenix, produziert von ARD und ZDF, angenommen. In der Diskussion mit dem Korrespondenten Erhard Scherfer und Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, wurden Fragen zu Liechtenstein erörtert. «Als das sechstkleinste Land der Erde, kein Mitglied der EU, den Vorsitz im Europarat innehabend und gleichzeitig gemessen am Bruttoinlandsprodukt das reichste Land Europas mit lediglich 40'000 Einwohnern, verfügt Liechtenstein über eine faszinierende Dynamik. Trotzdem hat es keine Armee, jedoch ein Weltraumgesetz und vieles mehr.»

Silvia Abderhalden: Es war spannend, diesem Podcast zuzuhören, vor allem die Perspektive der beiden Moderatoren, die Liechtenstein von aussen betrachten. Wie haben Sie dieses Podcast-Erlebnis wahrgenommen, und wie schätzen Sie den externen Blick auf Liechtenstein ein?

Regierungschef Dr. Daniel Risch: Ich habe vor meiner Amtszeit in der Regierung Liechtenstein über viele Jahre aus einer «externen» Perspektive betrachtet. Während meines Studiums und auch beruflich war ich mehr als 15 Jahre mehr oder weniger durchgehend im Ausland, was mir das Gefühl vermittelte, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Heute ist es manchmal genau das Gegenteil, nämlich dass wir uns im Regierungsumfeld etwas in einer Blase befinden und das Gefühl vorherrscht, Liechtenstein und noch enger gesehen Vaduz stehe im Mittelpunkt. Daher ist es wichtig rauszugehen – zu den Leuten in Liechtenstein und in die Welt. Es ist wichtig, nicht nur nach aussen zu schauen, sondern vor allem im Land unter den Menschen zu sein und zu spüren, was sie bewegt. Ich glaube, dies ist eine der wichtigsten Aufgaben - sich nicht abzuschotten und den Puls der Bevölkerung zu fühlen. Was den Blick «von» aussen betrifft habe ich rückblickend auf die letzten sieben Jahre den Eindruck, dass sich dieser noch einmal verändert hat.

Früher war es möglicherweise schwieriger, weil Liechtenstein entweder einen wenig schmeichelhaften Ruf hatte oder als kleines Land auch einfach weniger Aufmerksamkeit erhielt und dadurch weniger ernst genommen wurde. In Krisen rücken aber auch Länder zusammen. Auch deshalb finden wir uns heute in einer ganz anderen Position. Liechtenstein hat im Laufe der Zeit mehr Anerkennung und Einfluss in verschiedenen internationalen Gremien erlangt und sich stets aktiv eingebracht. Das zahlt sich nun aus. Wir werden als Partner wahrgenommen. Gerade im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus sind wir ein geschätzter Ansprechpartner – nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien und bei Kongressen und Konferenzen. Für mich ist das eine Bestätigung für die Haltung, dass wir als geographisch kleines Land den Anspruch haben, mehr zu leisten als man von uns erwarten würde.

Ist es also wichtig, die Innenpolitik zu pflegen und die Wahrnehmbarkeit von aussen nicht zu vernachlässigen?

Ja, auf jeden Fall. Man muss die Chancen die sich einem bieten dann auch annehmen. Wir könnten einfach sagen: «Ein Podcast hat angefragt... Mal sehen...» Aber es ist uns wichtig, solche Einladungen anzunehmen und teilzunehmen, denn oft ergeben sich daraus weitere Möglichkeiten. Als wir bei phoenix waren hat sich gleich auch die Möglichkeit für ein Gespräch mit dem stellvertretenden Intendanten der ARD ergeben, der uns bei unserem nächsten Besuch in Berlin zu sich einladen will. Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, solche Gelegenheiten zu nutzen, sie ernst zu nehmen, sich gut vorzubereiten und so das Land bestmöglich nach aussen zu vertreten.

Wie empfinden Sie persönlich Ihre Erfahrungen bei solchen Interviews und Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung und Wahrnehmung Liechtensteins in der Öffentlichkeit?

Zuerst ist es entscheidend, sich immer im Klaren zu sein, welch privilegiertes Amt man bekleidet. Bei diesen Auftritten werde ich nicht als Daniel Risch, sondern als Regierungschef von Liechtenstein befragt. Natürlich spricht auch die Person Daniel Risch, aber eben in seiner Funktion.

Dabei erinnere ich mich gerne an meinen ehemaligen Klavierlehrer. Ich hatte das Privileg, in Zürich Unterricht bei Bela Balint, dem langjährigen Pianisten der Pepe Lienhard Band, zu erhalten - eine bemerkenswerte Persönlichkeit und ein grossartiger Musiker. Er hat mir etwas mit auf den Weg gegeben, das mich bis heute begleitet: Egal ob du vor drei Menschen oder vor dreitausend auftrittst, du solltest immer dein Bestes geben, denn im Publikum kann jemand sein, der für dich und deine Zukunft entscheidend ist. Diesen Anspruch habe ich auch auf dem internationalen Parkett für Liechtenstein. Gründliche Vorbereitung mit dem ganzen Team gehört genauso dazu wie der eigentliche Auftritt. Es ist ein Privileg, dies im Dienste des Landes zu tun, aber mein persönlicher Anspruch bleibt immer derselbe, unabhängig davon, wie viele Menschen zuhören: das Beste abzuliefern.

Die Regierung von Liechtenstein hat dem Landtag die «Geschäftsplanung» für das Jahr 2024 bekannt gegeben. Einiges davon wird auch in der Öffentlichkeit für Diskussionen sorgen. Welche Vorlagen haben für Sie Priorität?

Die Geschäftsplanung, die wir zu Beginn des Jahres dem Landtag vorlegen, ist ein wichtiges Steuerungsinstrument. Allein in meinem Ministerium werden es in diesem Jahr noch rund 50 Vorlagen sein, die der Landtag erhalten wird. Viele davon sind eher technischer Natur und kommen möglicherweise nicht stark in den Fokus der Diskussionen im Landtag, obwohl sie trotzdem bedeutend und zum Teil wegweisend sind. Beispielsweise, wenn wir die gesamte Bankenregulierung neu ordnen, ist das für den Finanzplatz ein grosser Schritt, hingegen aber ist es nicht unbedingt ein Thema, dass am Stammtisch diskutiert wird. Oft sind die grossen Themen im Parlament Verkehrs- oder Bauprojekte. Ich habe das während meiner Amtszeit im Infrastrukturministerium erlebt und sehe es auch heute bei meiner Regierungskollegin Graziella Marok-Wachter. Es sind die Themen, über die die Mehrheit mitreden kann, die im Fokus stehen.

Vor diesem Hintergrund sind Themen wie das Religionsgemeinschaften-Gesetz, der Beitritt zum Internationalen Währungsfonds oder die staatliche Pensionskasse, bei denen es um die nachhaltige Aufstellung der Stiftung Personalvorsorge Liechtenstein geht, prominenter und diskussionsfähiger, wenn man so will. Ich möchte nicht behaupten, dass diese Themen wichtiger sind, sondern dass sie möglicherweise im öffentlichen Diskurs präsenter sind. Für mich haben aber alle Themen eine grosse Bedeutung, weil jedes Traktandum letztlich dazu da ist, unser Land vorwärts zu bringen. Für die Zukunft Liechtensteins ist beispielsweise die Bankenregulierung insgesamt sogar wichtiger als die Ergänzung für einen Baukredit.

Wie beabsichtigt die Regierung, die Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen oder über diese Vorlagen zu informieren? Welche langfristigen Auswirkungen könnten sich aus der Umsetzung dieser Vorlagen ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Landes?

Meine Sichtweise zur Einbindung der Bevölkerung ist möglicherweise etwas anders – weil ich der Meinung bin, dass die Bevölkerung in Liechtenstein schon heute sehr gut eingebunden ist. Nehmen wir die Energiestrategie als Beispiel. Diese Strategie wurde gemeinsam mit der Bevölkerung und vielen Experten entwickelt. Wir haben Workshops veranstaltet und verschiedene Events organisiert, zu denen interessierte Bürgerinnen und Bürger gekommen sind. Natürlich erreicht man nie die gesamte Bevölkerung; meistens sind es einige Hundert Menschen, die sich letztendlich einbringen. Danach ist es wichtig, dass die Bevölkerung gut informiert ist. Letztendlich wird die Bevölkerung durch die fünfundzwanzig Landtagsabgeordneten vertreten, welche die Interessen der Bevölkerung repräsentieren und in den allermeisten Fällen für sie entscheiden.

Wenn die Bevölkerung nicht mit dem Entscheid des Landtags einverstanden ist, kann mittels Referendums relativ einfach eine Volksabstimmung herbeigeführt werden – das ist die direkteste Form der Einbindung der Bevölkerung. Ich betrachte die Volksabstimmung auch nie als etwas «Böses». Wenn das Volk anders entscheidet, finde ich das sogar positiv, denn egal wie das Abstimmungsergebnis ausfällt, wir haben dann die Meinung des Volkes in der Breite. Manchmal wünschte ich mir zwar, dass sich noch mehr Menschen beteiligen würden, aber die Einbindung der Bevölkerung ist gegeben. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass der direkte Einbezug der Bevölkerung in Liechtenstein fast beispiellos ist. Dies betrachte ich als grossen Vorteil Liechtensteins. Daher stehe ich zu meiner Aussage, dass wir nicht in einem Land mit einer «Verbotskultur» leben, sondern ganz im Gegenteil in einem Land mit einer ausgeprägten «Mitmach-Kultur», die wir unbedingt weiter pflegen und bewahren sollten.

Ihre Perspektive auf die Einbindung der Bevölkerung ist sehr interessant. Angesichts Ihrer positiven Haltung gegenüber Volksabstimmungen befürworten Sie diese?

Für mich ist jeder Volksentscheid insofern ein guter Entscheid, als wir ihn gemeinsam getroffen haben. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob die Hürden für ein Referendum oder eine Initiative zu niedrig sind. Sind tausend Unterschriften für ein Referendum zu wenig? Auf der anderen Seite kann man argumentieren, dass die Hürden niedrig sein sollten, damit sich die Bürgerinnen und Bürger leichter beteiligen können. Der Landtag wurde gewählt, um die Interessen des Volkes zu vertreten. Wenn das Volk aber direkt mitentscheiden will, sollte auch das einfach möglich sein.

Wie bewerten Sie die aktuellen Veränderungen in den europäischen Beziehungen und ihre Auswirkungen auf Liechtenstein? Neben möglichen Streiks in verschiedenen europäischen Ländern interessieren mich auch andere potenzielle Herausforderungen wie Lieferschwierigkeiten, die Einführung von Sondersteuern und der Fachkräftemangel. Wie sehen Sie die Risiken und Chancen, die sich für Liechtenstein aus diesen Entwicklungen ergeben könnten, und welche Massnahmen erwägt die Regierung, um möglichen negativen Auswirkungen entgegenzuwirken?

Die Risiken sind nicht unerheblich, wenn wir uns die Situation in Deutschland und Frankreich mit den von Ihnen angesprochenen Streiks oder in Grossbritannien nach dem Brexit anschauen. Wenn wir uns mit den grossen Volkswirtschaften Europas befassen und betrachten, was dort politisch geschieht, dann ist es kein Geheimnis, dass wir als exportorientiertes Land Probleme haben, wenn es Europa nicht gut geht. Auch wenn wir weltweit exportieren haben wir in Europa starke Partner. Daher betrachten wir die Situation mit Sorge und hoffen auf gute Lösungen. Das Gleiche gilt für die Schweiz und Europa, denn letztendlich profitieren wir, wenn es rundherum gut läuft.

Die Chance, die ich sehe - und auch diese ist sehr real - ist, dass sich durch Krisen neue Gremien entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die «European Political Community», das halbjährliche Treffen der europäischen Regierungschefs, zu dem wir jeweils auch eingeladen sind. Wir haben im Moment den Vorsitz im Europarat, und man sieht uns als Partner, weil wir auch eine vermittelnde Position einnehmen können. Wir erhalten heute bilaterale Anfragen von Staaten, mit denen wir früher praktisch keinen Kontakt hatten. In Krisenzeiten merken wir, dass wir als geschätzter Ansprechpartner wahrgenommen werden. Das bedeutet für mich eine Chance, dass die Sichtbarkeit und Rolle unseres Landes gestärkt wird. Natürlich muss diese Chance entsprechend genutzt werden.

Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet konnten wir in den letzten Jahren und Monaten Erfolge verzeichnen, sei es durch die Doppelbesteuerungsabkommen mit Italien und Irland oder dem Freihandelsabkommen mit Indien. Einige dieser Erfolge resultieren teilweise auch aus Krisensituationen oder aus Gesprächen, die wir zuvor nicht führen konnten. Auch wenn es manchmal nur kleine Schritte sind setzen wir uns stets dafür ein, sie zum Wohle des Landes umzusetzen.

Sie sprechen ein Zitat an, das immer wieder einmal erwähnt wird ... die beste Aussenpolitik ist, gar keine zu haben.

Diese Treffen an internationalen Konferenzen sind zum Teil mit viel Aufwand und persönlichem Einsatz verbunden. Wir gehen zu solchen Treffen ja auch nicht zum Spass, sondern mit einer sorgfältigen Vorbereitung und einer gezielten Agenda. Wir klären im Voraus, welche Themen diskutiert werden sollen und mit welchen Ländern und Personen wir sprechen wollen. Daher gehen wir gut vorbereitet und bemühen uns immer, die investierte Zeit gewinnbringend für unser Land einzusetzen.

Manchmal ist es wie ein Puzzle, das wir zusammensetzen müssen. Wir mögen zwar erfolgreich sein, aber dieser Erfolg hängt oft davon ab, dass wir ständig daran arbeiten, dass wir unsere Themen einbringen, dass bspw. der freie Handel funktioniert und die guten Rahmenbedingungen beibehalten werden können. Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, das von allen Seiten betrachtet werden muss. In der Vergangenheit wurde oft betont, dass Aussenpolitik auch immer Innenpolitik ist, um sicherzustellen, dass unser Land so funktioniert wie es soll.

Wie beurteilen Sie die Herausforderungen, die sich aus externen Vorgaben und Auflagen ergeben, insbesondere wenn sie aus Ländern kommen, die eine andere politische oder wirtschaftliche Ausrichtung haben?

Hier kommt natürlich zum Tragen, was uns von anderen Ländern unterscheidet: dass wir einen schlanken Staat haben und wirklich unternehmerische Grundsätze auch in der Staatsführung vorhanden sind. Das ist etwas, was ich persönlich immer wieder in verschiedenen Gremien betone, weil es uns einzigartig macht und meiner Meinung nach auch gesund und erfolgreich hält. Es ist etwas, das für andere Staaten gar nicht selbstverständlich ist.

Dort sehe ich auch ein Risiko: Wenn wir aus Brüssel neue Vorgaben und Auflagen erhalten, sind diese manchmal von Ländern geprägt, die eher von linkeren oder sozialeren Parteien geführt werden, oder wo der Sozialstaat extrem ausgebaut ist. Staaten, in denen 35 bis 40 Prozent Steuern gezahlt werden und in denen die Erwartungshaltung auch dementsprechend ist, dass der Staat sehr viele Leistungen dafür erbringen sollte. Wenn wir diese Vorgaben mit unserer wirtschaftsliberalen Haltung übernehmen müssen, dann kann das zu Widersprüchen führen. Hier sehe ich einen Aspekt, der mit Vorsicht anzugehen ist: dass die Zentralisierung in Brüssel nicht zu gross wird und ein kleines Land wie wir dann bürokratisch untergeht.

Es ist ganz wichtig, die Eigenverantwortung zu behalten. Das ist das, was uns erfolgreich gemacht hat. Und ich bin persönlich davon überzeugt, dass es den Unterschied ausmacht, sei es bei der Mitbestimmung im Staat durch die Demokratie, sei es von der unternehmerischen Seite her oder dass der Wirtschaftserfolg bei uns nicht mit hohen Steuern bestraft wird, und dass das Unternehmertum mit seinen Gewinnen auch wieder wirken kann. An diese bewährten Grundsätze glaube ich.

Globale Herausforderungen, Klimaschutz: Bertrand Piccard hat kürzlich folgende Aussage gemacht: «Ich habe den Umweltpessimismus satt. Wohin wir auch schauen, der Klimaschutz war noch nie so dringlich und doch so umstritten. Noch nie war es so dringlich, nachhaltige Wege für die Menschheit zu finden, doch die Ökologie spaltet sich und leidet unter der politischen Demagogie in der ganzen Welt.» Wie ist Ihre Sichtweise dazu?

Betrachtet man die Frage aus verschiedenen Blickwinkeln könnte man sagen, es geht darum, ob das Glas halb leer oder halb voll ist. Kürzlich hörte ich ein Interview mit Anton Hofreiter, einem deutschen Politiker (Bündnis90/Die Grünen) und Biologen, der äusserst positiv gestimmt war, und meine Denkweise tendiert ebenfalls in diese Richtung.

Es verdient Beachtung, daran zu denken, wie weit wir im Klimaschutz in den letzten 30 Jahren gekommen sind und welche Fortschritte bereits erzielt wurden. Obwohl man diese Schritte als selbstverständlich betrachten könnte, ist es aus meiner Sicht keineswegs so. Natürlich sind wir noch weit von unserem Ziel entfernt, keine Frage. Doch wir dürfen nicht vergessen, von wo wir kommen. Der bisherige Weg sollte uns Mut machen, dass wir so vieles erreichen können. Unter Einbeziehung der technologischen Entwicklungen, die derzeit stattfinden, sehe ich grundsätzlich keinen Anlass zum Pessimismus, sondern vielmehr die Tatsache, dass wir in die richtige Richtung steuern. Aber es braucht eben noch mehr. Betrachtet man das Ganze global, gibt es sicherlich Länder, die das Thema Klimaschutz noch nicht angemessen oder praktisch gar nicht angegangen sind, hier ist Handeln unerlässlich. Aussagen wie wir seien zu klein, um einen Unterschied zu machen, mag ich überhaupt nicht. Grundsätzlich ist noch sehr viel zu tun, und auf diesem Weg sind ehrgeizige Zwischenziele ebenfalls wichtig.

Wie haben Sie die Veränderungen in der Medienlandschaft in den letzten Jahren erlebt, insbesondere in Bezug auf die klassischen Medien? Verstärkte Tätigkeit auf Social Media-Plattformen? Wo sehen Sie hier Möglichkeiten? Welche Chancen sieht die Regierung in diesen Veränderungen für die Kommunikation und den Austausch mit der Bevölkerung?

Der digitale Strukturwandel der letzten 30 Jahre war enorm. Zunächst kam das Internet, was eine gewisse Veränderung mit sich brachte. Doch erst mit dem Aufkommen der sozialen Medien vor rund 15 Jahren – ich denke an Facebook, Twitter, Instagram etc. – hat sich die Medienlandschaft grundlegend transformiert. Plötzlich hatte jeder die Möglichkeit, seine Meinung zu äussern und einfach zu veröffentlichen. Was in den Jahren 2007 und 2008 begann, hatte meiner Meinung nach einen massiven Einfluss auf die klassischen Medien, weit stärker als die Erfindung des World Wide Web im Jahr 1993.

Heutzutage ist es für Medienhäuser und Politiker unerlässlich, diese digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um eine breite Bevölkerungsschicht zu erreichen. Dies gilt insbesondere für die jüngeren Generationen, aber auch für alle anderen Altersgruppen. Wer heutzutage nicht verschiedene Medienangebote nutzt, droht bei vielen Menschen in Vergessenheit zu geraten. Internationale Entwicklungen bestätigen diese Notwendigkeit.

In Liechtenstein haben wir eine grundlegende Veränderung erlebt: Wir haben nur noch eine Tageszeitung. Dies mag für ein kleines Land ausreichend sein, doch das Fehlen von Konkurrenz hat Auswirkungen auf das System. Wettbewerb und Vielfalt sind oft treibende Kräfte für Verbesserungen. Unter Umständen werden in Zukunft neue Formate oder Möglichkeiten entstehen, um diese Lücke zu füllen.

Wie beurteilen Sie den Einfluss sozialer Medien auf das politische Verhalten der Bürger in Liechtenstein? Gab es Veränderungen in der politischen Landschaft oder im  Bürgerverhalten aufgrund der verstärkten Nutzung sozialer Medien? Welche Auswirkungen, positiv oder negativ, sieht die Regierung auf die politische Partizipation und Diskussion in der Bevölkerung durch soziale Medien?

Vielleicht bin ich etwas blauäugig, aber ich sehe den Einfluss sozialer Medien in unserem Land nicht in so grosser Tragweite. Es gibt sicher Länder, in denen der Einfluss der sozialen Medien viel stärker ist, was wahrscheinlich auch mit der Grösse eines Landes zu tun hat. Politiker sind in Liechtenstein als Menschen ja vor allem durch persönliche Begegnungen und die traditionellen Medien (Zeitung, Fernsehen, Radio) bekannt und weniger durch die Präsenz auf sozialen Medien. Aus meiner Sicht ist es schwierig, ein falsches Bild von mir als Mensch zu vermitteln. Die Menschen in Liechtenstein kennen mich, ich lebe und arbeite hier und diese Nähe bringt uns einen Vorteil. Ich habe soziale Medien sehr früh ausprobiert, um ihre Vorteile zu nutzen und auch auf diesen Plattformen Präsenz zu zeigen. Was vielleicht bedauerlich ist, ist dass für einen kleinen Teil der Benutzerinnen und Benutzer die Hürde für Beleidigungen oder Drohungen auf den sozialen oder digitalen Medien eher niedriger ist. Ein Aspekt, der mich persönlich immer wieder überrascht und den ich bedauerlich finde.

Wie würden Sie die Beziehungen zwischen dem Fürstenhaus, der Regierung, dem Landtag und den Bewohnerinnen und Bewohnern Liechtensteins charakterisieren? Welche Einstellung pflegen Sie persönlich gegenüber dem Fürstenhaus, der Regierung, dem Landtag und der Bevölkerung? Welche Vorteile sehen Sie in den bestehenden Verbindungen und Kooperationen, und gibt es spezifische Wünsche oder Verbesserungsvorschläge für eine effektivere Zusammenarbeit?

In all den von Ihnen beschriebenen Beziehungen treffen jeweils Menschen aufeinander – sei es im Fürstenhaus, in der Regierung, im Landtag oder in der Bevölkerung. Das Zwischenmenschliche ist also das A und O. Dabei ist es wichtig, wie man einander begegnet. Jeder hat verschiedene Aufgaben und Verantwortlichkeiten und es ist entscheidend, dass jeder seine Rolle auch kennt und wahrnimmt.

Persönliche Sympathien spielen immer auch eine Rolle, aber im professionellen Umgang miteinander stehen Argumente und Inhalte im Vordergrund. Es ist bedauerlich, dass manchmal die politische Ausrichtung einer Person wichtiger zu sein scheint als ihre Argumente oder der Inhalt ihrer Vorschläge. Dies ist etwas, woran ich mich auch nach sieben Jahren in der Regierung nicht gewöhnen kann und werde.

Ich habe den Eindruck, dass der Landtag seine Rolle manchmal nicht vollständig ausschöpft, wie es ihm gemäss Verfassung und auch dem Geschäftsverkehrs- und Verwaltungskontrollgesetz (kurz GVVKG) des Landtages mit der Regierung möglich wäre. Ein stärkeres Selbstverständnis des Landtags innerhalb seiner festgelegten Rolle könnte zuweilen helfen und das Zusammenspiel zwischen Landtag und Regierung vereinfachen. 

In den vielen Jahren Ihrer politischen Karriere haben Sie sicherlich mit vielen interessanten Persönlichkeiten gesprochen. Mit welchem Experten oder Expertengremium würden Sie sich gerne einmal unterhalten? Welche spezifischen Themen oder Fragen würden Sie bei einem solchen Gespräch gerne vertiefen oder diskutieren?

Es gibt bei mir keine spezifische Wunschliste, sondern ich spreche gerne mit Experten aus verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens und der internationalen Politik. Sei es ein Feuerwehrkommandant bei einem Feuerwehrfest oder ein Regierungschef oder Bundeskanzler eines anderen Landes - diese Menschen haben in ihren jeweiligen Bereichen ein tiefes Verständnis für das Zusammenspiel und die Zusammenhänge. Um komplexe Organisationen zu verstehen ist es wichtig, mit den Menschen zu sprechen, die direkt involviert sind. Neugierig und aufgeschlossen zu sein gehört bei mir einfach dazu.

In der Regierung verfolgen wir einen ähnlichen Ansatz. Wenn wir ein bestimmtes Thema angehen bemühen wir uns, die besten Experten auf diesem Gebiet zu konsultieren. Wir als Regierungsmitglieder sind Generalisten und vertreten die Positionen, aber wir greifen auf das Fachwissen unserer Verwaltungsmitarbeiter und externen Experten zurück, um die bestmöglichen Informationen zu erhalten und fundierte Entscheidungen zu treffen.

Mich ärgert es manchmal im politischen Diskurs, wenn den politischen Exponenten aber insbesondere auch den Experten im Hintergrund jegliche Kenntnis und der Wille, Dinge besser zu machen, abgesprochen werden. Konstruktive Kritik ist wichtig und ich bin auch selbst stets bemüht, nicht einfach zu kritisieren, sondern Vorschläge zu machen, wie man es konkret besser machen kann. In Liechtenstein haben wir die besondere Eigenschaft der «kurzen Wege». Jeder hat die Möglichkeit, persönlich mit uns in Kontakt zu treten, sei es in unseren Ämtern oder in der Politik. Natürlich läuft nicht immer alles perfekt, aber die Nähe und die persönliche Interaktion sind Möglichkeiten, die wir schätzen und weiterhin pflegen sollten.

Wo sehen Sie die grössten Chancen für Liechtenstein in den kommenden Jahren? Wie setzt sich die Regierung aktiv für die Förderung und Entwicklung ein?

Die grössten Chancen für Liechtenstein sehe ich darin, dass wir unsere Agilität bewahren. Wir müssen wach bleiben und ein Bewusstsein dafür haben, was um uns herum geschieht. Daher ist eine aktive Aussenpolitik von grosser Bedeutung. Wir müssen unsere Fühler weit ausstrecken und mit einem klaren Verstand Entscheidungen treffen, die unser Land voranbringen.

Was meiner Meinung nach nicht passieren darf, ist ein Gefühl der Selbstzufriedenheit oder des Stillstands, nur weil es uns momentan gut geht. Ich vergleiche es manchmal mit einem Kreisel: Ein Kreisel behält seine Stabilität nur, solange er sich schnell dreht und diesen Impuls behält. Wenn er sich nicht mehr dreht, fällt er um. Stabilität bedeutet für mich nie Stillstand, sondern kontinuierliche Bewegung und Verbesserung. Diese Dynamik ist auch für die Zukunft von Liechtenstein von entscheidender Bedeutung. Manchmal müssen wir ganz vorne mit dabei sein, während es in anderen Bereichen auch akzeptabel ist, sich als «Early Adopter» gut zu positionieren.

Woraus schöpfen Sie persönlich Kraft und Inspiration angesichts Ihrer anspruchsvollen Aufgaben als Regierungschef? Wie hat sich Ihr persönliches Leben und Ihre Perspektiven seit Beginn Ihrer Amtszeit verändert?

Ich habe mich bemüht, mein persönliches Leben und mich selbst so wenig wie möglich zu ändern. Ich erfahre sehr viel Rückhalt in der Familie, und wir haben auch immer versucht, das Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Dort wo es angezeigt ist begleitet mich meine Frau zu offiziellen Anlässen. Ansonsten schätzen wir den privaten Teil unseres Familienlebens und unseren stabilen Freundeskreis. Das alles gibt auch in schwierigen Zeiten Halt. Für den Ausgleich schöpfe ich auch Kraft aus meiner Leidenschaft für Sport und Musik. Diese Interessen helfen mir die Herausforderungen meines Jobs zu bewältigen und meine Freude daran zu behalten. ex.

Wir bedanken uns bei Regierungschef Dr. Daniel Risch für das Interview.     

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