Im Blick des Regierungschefs: Chancen, Perspektiven, Prioritäten und Herausforderungen – Silvia Abderhalden im Gespräch mit Regierungschef Dr. Daniel Risch
Regierungschef Dr. Daniel Risch war kürzlich in Berlin und hat dort unter anderen Terminen eine Einladung zum Politik-Podcast «unter 3» von phoenix, produziert von ARD und ZDF, angenommen. In der Diskussion mit dem Korrespondenten Erhard Scherfer und Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin, wurden Fragen zu Liechtenstein erörtert. «Als das sechstkleinste Land der Erde, kein Mitglied der EU, den Vorsitz im Europarat innehabend und gleichzeitig gemessen am Bruttoinlandsprodukt das reichste Land Europas mit lediglich 40'000 Einwohnern, verfügt Liechtenstein über eine faszinierende Dynamik. Trotzdem hat es keine Armee, jedoch ein Weltraumgesetz und vieles mehr.»
Silvia Abderhalden: Es war spannend, diesem Podcast zuzuhören, vor allem die Perspektive der beiden Moderatoren, die Liechtenstein von aussen betrachten. Wie haben Sie dieses Podcast-Erlebnis wahrgenommen, und wie schätzen Sie den externen Blick auf Liechtenstein ein?
Regierungschef Dr. Daniel Risch: Ich habe vor meiner Amtszeit in der Regierung Liechtenstein über viele Jahre aus einer «externen» Perspektive betrachtet. Während meines Studiums und auch beruflich war ich mehr als 15 Jahre mehr oder weniger durchgehend im Ausland, was mir das Gefühl vermittelte, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Heute ist es manchmal genau das Gegenteil, nämlich dass wir uns im Regierungsumfeld etwas in einer Blase befinden und das Gefühl vorherrscht, Liechtenstein und noch enger gesehen Vaduz stehe im Mittelpunkt. Daher ist es wichtig rauszugehen – zu den Leuten in Liechtenstein und in die Welt. Es ist wichtig, nicht nur nach aussen zu schauen, sondern vor allem im Land unter den Menschen zu sein und zu spüren, was sie bewegt. Ich glaube, dies ist eine der wichtigsten Aufgaben - sich nicht abzuschotten und den Puls der Bevölkerung zu fühlen. Was den Blick «von» aussen betrifft habe ich rückblickend auf die letzten sieben Jahre den Eindruck, dass sich dieser noch einmal verändert hat.
Früher war es möglicherweise schwieriger, weil Liechtenstein entweder einen wenig schmeichelhaften Ruf hatte oder als kleines Land auch einfach weniger Aufmerksamkeit erhielt und dadurch weniger ernst genommen wurde. In Krisen rücken aber auch Länder zusammen. Auch deshalb finden wir uns heute in einer ganz anderen Position. Liechtenstein hat im Laufe der Zeit mehr Anerkennung und Einfluss in verschiedenen internationalen Gremien erlangt und sich stets aktiv eingebracht. Das zahlt sich nun aus. Wir werden als Partner wahrgenommen. Gerade im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus sind wir ein geschätzter Ansprechpartner – nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien und bei Kongressen und Konferenzen. Für mich ist das eine Bestätigung für die Haltung, dass wir als geographisch kleines Land den Anspruch haben, mehr zu leisten als man von uns erwarten würde.
Ist es also wichtig, die Innenpolitik zu pflegen und die Wahrnehmbarkeit von aussen nicht zu vernachlässigen?
Ja, auf jeden Fall. Man muss die Chancen die sich einem bieten dann auch annehmen. Wir könnten einfach sagen: «Ein Podcast hat angefragt... Mal sehen...» Aber es ist uns wichtig, solche Einladungen anzunehmen und teilzunehmen, denn oft ergeben sich daraus weitere Möglichkeiten. Als wir bei phoenix waren hat sich gleich auch die Möglichkeit für ein Gespräch mit dem stellvertretenden Intendanten der ARD ergeben, der uns bei unserem nächsten Besuch in Berlin zu sich einladen will. Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, solche Gelegenheiten zu nutzen, sie ernst zu nehmen, sich gut vorzubereiten und so das Land bestmöglich nach aussen zu vertreten.
Wie empfinden Sie persönlich Ihre Erfahrungen bei solchen Interviews und Diskussionen, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung und Wahrnehmung Liechtensteins in der Öffentlichkeit?
Zuerst ist es entscheidend, sich immer im Klaren zu sein, welch privilegiertes Amt man bekleidet. Bei diesen Auftritten werde ich nicht als Daniel Risch, sondern als Regierungschef von Liechtenstein befragt. Natürlich spricht auch die Person Daniel Risch, aber eben in seiner Funktion.
Dabei erinnere ich mich gerne an meinen ehemaligen Klavierlehrer. Ich hatte das Privileg, in Zürich Unterricht bei Bela Balint, dem langjährigen Pianisten der Pepe Lienhard Band, zu erhalten - eine bemerkenswerte Persönlichkeit und ein grossartiger Musiker. Er hat mir etwas mit auf den Weg gegeben, das mich bis heute begleitet: Egal ob du vor drei Menschen oder vor dreitausend auftrittst, du solltest immer dein Bestes geben, denn im Publikum kann jemand sein, der für dich und deine Zukunft entscheidend ist. Diesen Anspruch habe ich auch auf dem internationalen Parkett für Liechtenstein. Gründliche Vorbereitung mit dem ganzen Team gehört genauso dazu wie der eigentliche Auftritt. Es ist ein Privileg, dies im Dienste des Landes zu tun, aber mein persönlicher Anspruch bleibt immer derselbe, unabhängig davon, wie viele Menschen zuhören: das Beste abzuliefern.
Die Regierung von Liechtenstein hat dem Landtag die «Geschäftsplanung» für das Jahr 2024 bekannt gegeben. Einiges davon wird auch in der Öffentlichkeit für Diskussionen sorgen. Welche Vorlagen haben für Sie Priorität?
Die Geschäftsplanung, die wir zu Beginn des Jahres dem Landtag vorlegen, ist ein wichtiges Steuerungsinstrument. Allein in meinem Ministerium werden es in diesem Jahr noch rund 50 Vorlagen sein, die der Landtag erhalten wird. Viele davon sind eher technischer Natur und kommen möglicherweise nicht stark in den Fokus der Diskussionen im Landtag, obwohl sie trotzdem bedeutend und zum Teil wegweisend sind. Beispielsweise, wenn wir die gesamte Bankenregulierung neu ordnen, ist das für den Finanzplatz ein grosser Schritt, hingegen aber ist es nicht unbedingt ein Thema, dass am Stammtisch diskutiert wird. Oft sind die grossen Themen im Parlament Verkehrs- oder Bauprojekte. Ich habe das während meiner Amtszeit im Infrastrukturministerium erlebt und sehe es auch heute bei meiner Regierungskollegin Graziella Marok-Wachter. Es sind die Themen, über die die Mehrheit mitreden kann, die im Fokus stehen.
Vor diesem Hintergrund sind Themen wie das Religionsgemeinschaften-Gesetz, der Beitritt zum Internationalen Währungsfonds oder die staatliche Pensionskasse, bei denen es um die nachhaltige Aufstellung der Stiftung Personalvorsorge Liechtenstein geht, prominenter und diskussionsfähiger, wenn man so will. Ich möchte nicht behaupten, dass diese Themen wichtiger sind, sondern dass sie möglicherweise im öffentlichen Diskurs präsenter sind. Für mich haben aber alle Themen eine grosse Bedeutung, weil jedes Traktandum letztlich dazu da ist, unser Land vorwärts zu bringen. Für die Zukunft Liechtensteins ist beispielsweise die Bankenregulierung insgesamt sogar wichtiger als die Ergänzung für einen Baukredit.
Wie beabsichtigt die Regierung, die Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen oder über diese Vorlagen zu informieren? Welche langfristigen Auswirkungen könnten sich aus der Umsetzung dieser Vorlagen ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Landes?
Meine Sichtweise zur Einbindung der Bevölkerung ist möglicherweise etwas anders – weil ich der Meinung bin, dass die Bevölkerung in Liechtenstein schon heute sehr gut eingebunden ist. Nehmen wir die Energiestrategie als Beispiel. Diese Strategie wurde gemeinsam mit der Bevölkerung und vielen Experten entwickelt. Wir haben Workshops veranstaltet und verschiedene Events organisiert, zu denen interessierte Bürgerinnen und Bürger gekommen sind. Natürlich erreicht man nie die gesamte Bevölkerung; meistens sind es einige Hundert Menschen, die sich letztendlich einbringen. Danach ist es wichtig, dass die Bevölkerung gut informiert ist. Letztendlich wird die Bevölkerung durch die fünfundzwanzig Landtagsabgeordneten vertreten, welche die Interessen der Bevölkerung repräsentieren und in den allermeisten Fällen für sie entscheiden.
Wenn die Bevölkerung nicht mit dem Entscheid des Landtags einverstanden ist, kann mittels Referendums relativ einfach eine Volksabstimmung herbeigeführt werden – das ist die direkteste Form der Einbindung der Bevölkerung. Ich betrachte die Volksabstimmung auch nie als etwas «Böses». Wenn das Volk anders entscheidet, finde ich das sogar positiv, denn egal wie das Abstimmungsergebnis ausfällt, wir haben dann die Meinung des Volkes in der Breite. Manchmal wünschte ich mir zwar, dass sich noch mehr Menschen beteiligen würden, aber die Einbindung der Bevölkerung ist gegeben. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass der direkte Einbezug der Bevölkerung in Liechtenstein fast beispiellos ist. Dies betrachte ich als grossen Vorteil Liechtensteins. Daher stehe ich zu meiner Aussage, dass wir nicht in einem Land mit einer «Verbotskultur» leben, sondern ganz im Gegenteil in einem Land mit einer ausgeprägten «Mitmach-Kultur», die wir unbedingt weiter pflegen und bewahren sollten.
Ihre Perspektive auf die Einbindung der Bevölkerung ist sehr interessant. Angesichts Ihrer positiven Haltung gegenüber Volksabstimmungen befürworten Sie diese?
Für mich ist jeder Volksentscheid insofern ein guter Entscheid, als wir ihn gemeinsam getroffen haben. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob die Hürden für ein Referendum oder eine Initiative zu niedrig sind. Sind tausend Unterschriften für ein Referendum zu wenig? Auf der anderen Seite kann man argumentieren, dass die Hürden niedrig sein sollten, damit sich die Bürgerinnen und Bürger leichter beteiligen können. Der Landtag wurde gewählt, um die Interessen des Volkes zu vertreten. Wenn das Volk aber direkt mitentscheiden will, sollte auch das einfach möglich sein.
Wie bewerten Sie die aktuellen Veränderungen in den europäischen Beziehungen und ihre Auswirkungen auf Liechtenstein? Neben möglichen Streiks in verschiedenen europäischen Ländern interessieren mich auch andere potenzielle Herausforderungen wie Lieferschwierigkeiten, die Einführung von Sondersteuern und der Fachkräftemangel. Wie sehen Sie die Risiken und Chancen, die sich für Liechtenstein aus diesen Entwicklungen ergeben könnten, und welche Massnahmen erwägt die Regierung, um möglichen negativen Auswirkungen entgegenzuwirken?
Die Risiken sind nicht unerheblich, wenn wir uns die Situation in Deutschland und Frankreich mit den von Ihnen angesprochenen Streiks oder in Grossbritannien nach dem Brexit anschauen. Wenn wir uns mit den grossen Volkswirtschaften Europas befassen und betrachten, was dort politisch geschieht, dann ist es kein Geheimnis, dass wir als exportorientiertes Land Probleme haben, wenn es Europa nicht gut geht. Auch wenn wir weltweit exportieren haben wir in Europa starke Partner. Daher betrachten wir die Situation mit Sorge und hoffen auf gute Lösungen. Das Gleiche gilt für die Schweiz und Europa, denn letztendlich profitieren wir, wenn es rundherum gut läuft.
Die Chance, die ich sehe - und auch diese ist sehr real - ist, dass sich durch Krisen neue Gremien entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die «European Political Community», das halbjährliche Treffen der europäischen Regierungschefs, zu dem wir jeweils auch eingeladen sind. Wir haben im Moment den Vorsitz im Europarat, und man sieht uns als Partner, weil wir auch eine vermittelnde Position einnehmen können. Wir erhalten heute bilaterale Anfragen von Staaten, mit denen wir früher praktisch keinen Kontakt hatten. In Krisenzeiten merken wir, dass wir als geschätzter Ansprechpartner wahrgenommen werden. Das bedeutet für mich eine Chance, dass die Sichtbarkeit und Rolle unseres Landes gestärkt wird. Natürlich muss diese Chance entsprechend genutzt werden.
Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet konnten wir in den letzten Jahren und Monaten Erfolge verzeichnen, sei es durch die Doppelbesteuerungsabkommen mit Italien und Irland oder dem Freihandelsabkommen mit Indien. Einige dieser Erfolge resultieren teilweise auch aus Krisensituationen oder aus Gesprächen, die wir zuvor nicht führen konnten. Auch wenn es manchmal nur kleine Schritte sind setzen wir uns stets dafür ein, sie zum Wohle des Landes umzusetzen.