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Liechtensteinisches LandesMuseum

Stimmen aus der Arktis

Im Gespräch mit Martha Cerny, Co-Direktorin des Museums Cerny, haben wir einiges über die eindrucksvolle Sonderausstellung im Liechtensteinischen LandesMuseum erfahren, in der die Inuit in ihrer Sprache zu Wort kommen und die menschlichen Dimensionen hinterfragt werden - zum Wohl künftiger Generationen - in der Arktis wie bei uns. Die Ausstellung ist eine Zusammenarbeit des Museums Cerny und West Baffin Eskimo Cooperative.

Martha Cerny: Mein Mann Peter Cerny und ich haben uns in Kanada auf einer abgelegenen Halbinsel, auf welcher wir beide in einem Spital gearbeitet haben, kennengelernt. In dieser Zeit sind wir vielen Menschen der Indigenen Völker in diesem Teil von British Columbia begegnet und haben  einiges über ihre Geschichte, ihre Philosophie und ihre Lebensweise erfahren. Spuren, die uns nie mehr verlassen haben, auch nicht als wir in die Heimat meines Mannes, in die Schweiz zurückkehrten.

1994 konnten wir eine Sammlung von 127 Inuit-Kunstwerken, die ursprünglich aus dem arktischen Kanada stammte, kaufen. Durch die Dokumentation dieser Sammlung von Skulpturen, die das traditionelle Leben der Inuit widerspiegelt, sind wir noch tiefer in die Kultur dieser Völker eingetaucht. 1998 haben wir die Kanadische Arktis besucht. Hier wuchs unser Verständnis und unsere Bewunderung für die nicht vergleichbare Kultur der Inuit, die ein Leben zwischen einzigartiger landschaftlicher Schönheit in einer beeindruckenden Mischung aus spektakulären Fjorden, Gletschern, steilen Granitfelsen, Kalksteinklippen und grossen herausfordernden Natur-Extremen führen.

An dieser Stelle möchte ich Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Bandi, ein Berner Archäologe erwähnen, er hat archäologische Ausgrabungen in Chukotka durchgeführt und uns den Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern auf der anderen Seite der Beringstrasse vermittelt. Diese Kontakte führten uns auf den sibirischen Teil unserer Reise.

Heute leben etwa 180'000 Inuit hauptsächlich in Chukotka (Russland), Alaska, Kanada und Grönland, 65'000 leben in Kanada. Die Inuit teilen eine gemeinsame Sprachwurzel, Inuktut, haben aber unterschiedliche Dialekte. Inuit auf Inuktut und bedeutet «Menschen», die Einzahl lautet Inuk «Mensch», zwei Menschen (Dual) sind Inuuk. Die Inuit zogen von der asiatischen Seite der Beringstrasse, wie andere vor ihnen, bis nach Grönland. Diese bemerkenswerten Menschen mussten sich an ihre raue, unwirtliche Umgebung anpassen. Das mündlich gesammelte und überlieferte Wissen der letzten Jahrtausende ist von immenser Bedeutung. Die Ältesten vergleichen wie in der Skulptur Älteste von Lucy Tunguat ihre Erkenntnisse kritisch, um optimale Entscheide zu treffen. Ohne die empirischen Erfahrungen der Ältesten wäre das Überleben nicht möglich gewesen.

Die Skulptur Komposition von Johnny Lee Pudlat visualisiert diesen Ansatz. Die Natur umgibt uns Menschen und wir sind es, die Respekt zeigen und uns darum kümmern sollten. Eine ganzheitliche Lebenseinstellung und die Balance mit der Natur stehen im Vordergrund.

Mit jeder weiteren Reise in den hohen Norden lernten mein Mann und ich die Menschen besser kennen, die nach einem ganz bestimmten Grundsatz ihr Leben gestalten. Bevor man sagt was man haben muss (Must-have), schaut man zuerst was man hat und was man daraus machen kann. Diese Philosophie ist auch ein Teil der Botschaft der Ausstellung.  

Die Inuit jagen Meeressäuger und stellen Gegenstände aus den Produkten der Jagd her. In den letzten Jahren werden zusätzliche Materialien wie Stein und Mammutstosszahn verwendet, die durch das Auftauen des Permafrosts immer mehr verfügbar sind. Diese Objekte sind zu Kunstwerken geworden, die ihre reiche Kultur und aktuelle Herausforderungen widerspiegeln. Aufgrund ihrer engen  Verbindung mit der Natur und ihrer ausgezeichneten Fähigkeit, Veränderungen in ihrer Umgebung wahrzunehmen, ist die Umwelt für viele Inuit-Künstler zu einem Thema geworden. In der Ausstellung Stimmen aus der Arktis visualisieren nicht nur Skulpturen, sondern auch Zeichnungen und Lithografien, was die Künstler zum Klimawandel sagen. Zum Beispiel die vor 15 Jahren von David Ruben Piqtoukun geschaffene Skulptur, Kreatur an der Eiskante, wo das offene auf das gefrorene Meer trifft, weist auf die Notwendigkeit hin, ein «drittes Auge» zu besitzen, um zu wissen, wann es sicher ist, auf dem Eis zu reisen, und zwei Münder, um alle vor den Gefahren eines Einbrechens zu warnen. Bill Nasogaluaks Werk «Schwangere Sedna» bezieht sich auf zukünftige Generationen: in welchem Zustand wird unser Planet für sie sein?

Es ist für uns eine grosse Freude, unsere Ausstellung im Liechtensteinischen Landes- Museum zu präsentieren und hiermit den Menschen eine «Stimme» zu geben, die noch eine Beziehung zu ihrer Umwelt haben und trotz aller Herausforderungen das Gleichgewicht mit der Natur halten. Auch wir können unseren Teil dazu beitragen - jedes bisschen hilft.

Prof. Dr. Rainer Vollkommer, Direktor des Liechtensteinischen LandesMuseums

«Die von Martha und Peter Cerny Jahrzehnte lang gesammelten Werke führten zur Gründung des Museum Cerny.contemporary circumpolar art in Bern, das sich nicht nur speziell auf die Kunst der Inuit konzentriert, sondern auch auf die anderer Ethnien des Polarkreises und ihrer Auseinandersetzung mit den dort stattfindenden Veränderungen.

Bei Besuchen ihrer einzigartigen Sammlung durfte ich diesen immensen Schatz an Kunstwerken sehen. Weitere Gespräche führten zur intensiven Beschäftigung mit den Werken, die so viel ausdrücken und als Mahnmale vor uns stehen. So reifte schon bald die Idee, einiges davon auch im Liechtensteinischen LandesMuseum zeigen zu dürfen und nun ist es nach einer grösseren Vorbereitungszeit so weit, eine erste Begegnung mit den Inuit von Kanada in einer exquisiten Show in der Sonderausstellung «Stimmen aus der Arktis» präsentieren zu dürfen.» 

Die Ausstellung im Liechtensteinischen LandesMuseum «Stimmen aus der Arktis» dauert bis Sonntag, 9. Januar 2022.

www.landesmuseum.li

Sedna von einer riesigen Qualle gefangen / 2014 Serpentin, Stacheldraht, farbig / Geschaffen von Bill Nasogaluak / Herstellungsort: Tuktoyaktuk, Nordwest-Territorien, Kanada

Eiskante / 2020 Papier, Farbstift / Geschaffen von Qavavau Manomie / Herstellungsort: Kinngait, Nunavut, Kanada

Schwangere Sedna / 2006 Serpentin / Geschaffen von Bill Nasogaluak / Herstellungsort: Tuktoyaktuk, Nordwest-Territorien, Kanada

Komposition / 2007 Serpentin, Geweih eines Karibu / Geschaffen von Johnny Lee Pudlat / Herstellungsort: Kinngait, Nunavut, Kanada

Eisbär in einer Öllache / 2011 Marmor, Serpentin / Geschaffen von Bill Nasogaluak / Herstellungsort: Tuktoyaktuk, Nordwest-Territorien, Kanada

Kreatur an der Eiskante / 2006 Serpentin, Alabaster / Geschaffen von David Ruben Piqtoukun / Herstellungsort: Paulatuk, Nordwest-Territorien, Kanada

Prof. Dr. Rainer Vollkommer, Direktor des Liechtensteinischen LandesMuseums;

Dr. Caroline Hilti, Mitglied des Stiftungsrates des Liechtensteinischen LandesMuseums; Martha Cerny, Co-Direktorin des Museums Cerny; Dr. Peter Cerny;

Philippe Genest, Berater & Vize-Konsul, Politische, kulturelle und öffentliche Angelegenheiten, Botschaft von Kanada in der Schweiz und Liechtenstein; Martin Schultz, Co-Direktor des Museums Cerny

fotos: © sven beham / LLM text: © exclusiv

 

 

 

 

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