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Interview

Sinfonische Musik und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Werte

Wer im Kulturmanagement tätig ist befindet sich auf einer stetigen Gratwanderung zwischen Kunst und Wirtschaft, zwischen Geist und Geld, zwischen Inspiration und Realität. In unserem Interview haben wir mit Drazen Domjanic über die Gegenwart und Zukunft «seiner» Kulturprojekte gesprochen.

Herr Domjanic, die Wahrnehmung der Kulturarbeit ist Ihnen ein wichtiges Anliegen, im Sinne Kulturschaffen ist keine Freizeitbeschäftigung.

Drazen Domjanic: Man hört oder liest in den letzten Tagen, Wochen, Monaten sehr viel darüber, dass Kulturschaffende die Corona-Krise besonders hart getroffen hat. Wenn ich über die Kultur spreche, dann meine ich nicht nur die Inhalte, sondern alles was damit zusammenhängt um Kultur durchzuführen. Um darüber nachzudenken möchte ich folgendes klar stellen: wir reden von Profikünstlern, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, für sie ist Kulturschaffen keine Freizeitbeschäftigung und Kulturarbeit kein Hobby.

Das eine schliesst das andere nicht aus, Kultur-Vereine sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Diese Art von Kulturtradition ist Freizeit, sie prägt das gesellschaftliche Zusammenleben und leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaften.

Nehmen wir zum Beispiel die Operette, wenn ich zurückblicke, wie sich die Operette in den letzten 30 bis 50 Jahren verändert hat. Die Wandlung von Amateurismus in Semi-Professionalismus bis hin zum Professionalismus. Wenn wir von Professionalismus sprechen, dann reden wir nicht über Menschen, die den ganzen Tag in ihrem Beruf arbeiten und am Abend ihrem Hobby nachgehen, musizieren, singen, tanzen etc. sondern wir sprechen von Menschen, die 20, 30 Jahre täglich 8 Stunden üben, damit sie davon leben können. Wenn wir über Kulturschaffende reden, die benachteiligt sind, dann reden wir über diese Künstler. Ich nenne mich einen ehemaligen Musikkünstler, ich übe heute nicht mehr 8 Stunden am Tag, gebe auch keine Konzerte mehr, trotzdem spiele ich gerne meine Evergreens, nur das ist mein Hobby, davon muss ich nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich habe auch ein neues Hobby, das Malen, aber ich bin deswegen bei weitem kein Malkünstler. Das ist der Punkt, wo mir manchmal das Verständnis fehlt.

Ein Studium ist immer mit viel Arbeit, Fleiss und Aufwand verbunden. Studiengänge wie z.B. Medizin, Jura, Maschinenbau etc., und in diese Sparte gehört auch die Ausbildung der Künstler, bedeuten sehr viel Zeitaufwand, hohe finanzielle Investitionen und lifelong learning. Wenn wir diese Art von Ausbildung nicht als Arbeit anerkennen, dann benötigen wir keine Musikhochschulen, Theaterhochschulen, Hochschulen für Bildende Kunst etc.

Wird die wirtschaftliche Leistung der Kultur mit ihren unzähligen Dienstleistern und Versorgern unterschätzt?

Die Kultur schafft neben kulturellen auch wirtschaftliche Werte. Ich nehme das Beispiel Konzerte, weil ich mich auf diesem Gebiet auskenne. Am Anfang stehen die Musiknoten, Verlage, welche die Notenschriften produzieren, unglaublich viele Arbeitsstellen, abgesehen vom Komponisten, der die Noten komponiert hat. Der Notensetzer, der Verlag, die Papierindustrie, die Druckindustrie oder die neuen Technologien wie Digitalisierung usw. Damit ein Konzert entsteht benötigt man den Raum, die Technik, Notenpulte, Musikerstühle, Publikumsstühle, den Schneider, der das Abendkleid oder den Frack fertigt. Weiters brauchen wir Publikum und für Publikum benötigen wir einen Ticketmaster, um die Konzerte bekannt zu machen brauchen wir Broschüren, Berichte, Inserate, Medien. Vor oder nach dem Konzert gehen die Menschen essen, in den Konzertpausen benötigen wir ebenfalls die Gastronomie und für die Übernachtung die Hotels usw. und das alles zusammen ist eine unglaubliche, breite Wirtschaftsschöpfung. Ich habe kürzlich gelesen, dass die wirtschaftliche Dimension in der Schweiz aus der Kultur höher ist als die Wirtschaftsschöpfung aus der Landwirtschaft.

Wenn keine Lösungen gefunden werden stirbt eine Branche aus. Viele Kulturinstitute kämpfen mit der Finanzierung. Es ist unvorstellbar, dass ein Sinfonieorchester Liechtenstein, also ein Nationalorchester lediglich 5,5 Prozent des Budgets vom Staat über die Kulturstiftung erhält. Oder dass die internationale Musikakademie in Liechtenstein mit ihrer weltweiten Strahlkraft lediglich 1 Prozent der Finanzierung aus der öffentlichen Hand erhält. Das ist nirgends in Europa möglich und das wird höchstwahrscheinlich in der Zukunft auch hier nicht mehr möglich sein. Hochprofessionelle Kultur kostet Geld, aber sie bringt auch Arbeitsplätze und Geld, dies wird bei den Entscheidungsträgern der Politik meiner Meinung nach zuwenig wahrgenommen. Gesellschaft braucht Kultur!   

Vielleicht liegt unser Kulturdebakel auch daran, dass Künstler (Kulturschaffende) zu sehr als Individualisten – im Sinne von Einzelkämpfer durchs Leben gehen. Individualisten haben keine Lobby. Sie sind Nebensache. Warum gelingt es den Kunstschaffenden nicht, zusammenzustehen und gemeinsam zu mobilisieren?

Einige von ihnen werden es nicht schaffen, wenn ihnen nicht mit angebrachten Mitteln geholfen wird. Dabei ist das Desinteresse der Politik an der Kultur- und Kreativbranche für mich nicht ganz nachvollziehbar. An der fehlenden wirtschaftlichen Bedeutsamkeit kann es nicht liegen.

Vielleicht liegt es wirklich daran, dass wir keine Lobby haben, so wie andere Branchen. Oder vielleicht weil unsere Arbeit als Hobby angesehen wird? Frei nach dem Motto «Sie sind Musiker! Und was machen Sie beruflich?».

Ich bin politisch sehr interessiert, auch wenn ich noch keinen Liechtensteiner Pass besitze. Ich wünsche mir und würde mich unheimlich darüber freuen, wenn die Kultur auf den Parteiprogrammen ein wichtiger Faktor wäre, viele Landtagsabgeordnete kulturinteressiert sind und in der nächsten Legislaturperiode mehr, breiter und fachlicher über die Kultur debattiert wird. Ich wünsche mir die Aufmerksamkeit und den Respekt für unsere Branche, die nicht nur ein relevanter Wirtschaftszweig ist, sondern eine sehr wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft hat.

Stellen Sie sich vor, wir hätten gerade jetzt keine Filme, keine Musik, keine Bücher, wie würde die Covid Zeit mit Isolation aussehen? Wir hätten zu den körperlichen Gesundheitsproblemen auch noch viel mehr psychische Problemfälle.

Um für unsere Branche etwas zu erreichen ist es aber auch notwendig, vor der eigenen Tür zu kehren. Ich hoffe, die Kulturschaffenden können sich in Zukunft besser organisieren und eine Community generieren, die sich gegenseitig unterstützt und die Kulturbranche handlungsfähig macht. Einen Weg, der langfristig hilft, eine vielfältige Kulturlandschaft zu erhalten, aufzubauen und zu sichern.

Ich bin kein Zukunftsforscher, keiner weiss, wie lange die Situation mit Covid-19 noch anhält. Ich bin aber überzeugt, dass die Kultur bleibt, ein anderes Thema ist, wie wird sie finanziert, europa- und weltweit.

Das SOL hatte letztes Jahr Abo-Rekorde, wie sieht es im Moment aus?

Wir haben trotz der schwierigen Zeit nur eine einstellige Prozentzahl beim Abgang der Abonnenten, dies aus verschiedenen Gründen. Aber, und das ist sehr positiv, wir haben praktisch gleich viele Abo-Neuzugänge. Das Sinfonieorchester Liechtenstein ist noch in der guten, priviligierten Lage, dass wir von privaten Stiftungen unterstützt werden. Ich möchte nicht schwarz malen, aber ein Nationalorchester, wie das Sinfonieorchester Liechtenstein, benötigt für die Zukunft eine staatliche Subvention von einem Drittel des Budgets. Die Aufgaben und Herausforderungen werden immer grösser. Betrachten wir die Covid-19 Situation, allein der Aufwand und die Kosten für die Schutzkonzepte, die Vorsichtsmassnahmen, die ganzen Tests die wir durchführen mussten. Wir wollen, dass die Leute die Musik geniessen können. Wir verstehen auch, dass es Leute gibt, die nicht mit einer Maske ins Konzert gehen. Aber diese Leute haben ihre Tickets bezahlt, wir haben eine Verpflichtung zur Gegenleistung. Was für uns bis vor ein paar Jahren unvorstellbar und unheimlich schwer war, wird nun Realität: Live-Streaming (Echtzeitübertragung). Nur ein Live-Streaming zu verwirklichen kostet Geld. Wir werden im nächsten Jahr zum Konzert auch das Live-Streaming für unsere Abonnenten anbieten. Wir hatten bereits die ersten Tests und arbeiten intensiv daran. Dies ist ein Zukunftsprojekt, da diese Art von Konzertgenuss auch Leuten hilft, die zum Beispiel bewegungseingeschränkt sind.

Wie sieht Ihre persönliche, zukünftige Kulturarbeit aus?

Ich möchte kein Geheimnis daraus machen, dass ich seit über einem Jahr sehr intensiv an der Nachfolgeregelung arbeite. Ich hoffe, dass ich diese im nächsten Jahr auch der Öffentlichkeit präsentieren kann. Sicher steht fest, dass ich mich peu à peu aus dem operativen Geschäft zurückziehen werde. In den letzten Jahren haben wir hier ein wunderbares Unternehmen geführt, es gibt sehr viele Leute, die hier tätig sind und die diese Aufgaben weiterführen und übernehmen. Ab 2022 ist geplant, dass ich mich aus einigen Projekten operativ zurückziehe, somit geht eine Ära zu Ende. Mein Team hat sich in einer sehr schwierigen Zeit bewiesen und ist nun bereit für Veränderungen. Das grösste Problem der Kultur ist, wenn sie statisch bleibt und sich nicht verändert. Unsere Zukunft soll von den jungen Mitarbeitenden mitgestaltet werden. Wir haben viele neue Projekte, darunter ein grosses digitales Projekt «musikausbildung.com», welches wir in naher Zukunft der Öffentlichkeit vorstellen. Ich habe meine Verantwortung auf mehrere Köpfe verteilt und werde auf Verwaltungsratsebene die Zukunft angehen. Ich bin überzeugt, zu einem Unternehmertum gehört nicht nur der Aufbau eines Unternehmens, genauso wichtig ist es eine Nachfolgeregelung zu sichern. Ich bin Visionär und arbeite täglich an meinen Visionen, soviel sei für die Zukunft verraten, wir haben noch  einiges vor!

An dieser Stelle ist es mir ganz wichtig zu erwähnen, dass ich unglaublich dankbar bin. Dass ich die letzten dreissig Jahre hier in Liechtenstein einen so fruchtbaren Boden gefunden habe, um die professionelle Musikkultur aufzubauen, dafür möchte ich mich bedanken. Zuerst bei allen meinen Vorgesetzten, allen Stiftungsratspräsidenten von allen Instituten mit denen ich in den letzten Jahren zusammengearbeitet habe, im speziellen bei Dr. Ernst Walch und Otmar Hasler, bei allen unseren Musik-Gönnern, Donatoren und Sponsoren bis hin zum Publikum, das uns tagtäglich schreibt und unsere Konzerte besucht. Diese Dankbarkeit ist unglaublich gross und ich versuche das jeden Tag zu leben und auch an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzugeben, dass dies alles nicht selbstverständlich ist.

Ich freue mich auf die Musik-Saison 2021 und wünsche allen gesegnete und friedliche Weihnachten und alles Gute und Gesundheit für das kommende Jahr.

Wir bedanken uns bei Drazen Domjanic für das Interview.

fotos + text: © exclusiv

                                          

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