Interview – Prof. Dr. Wohlgemuth: Warum der IWF-Beitritt für Liechtenstein mehr als Symbolpolitik ist – Erkenntnisse aus seiner neuen Studie
Prof. Dr. Michael Wohlgemuth, Forschungsbeauftragter der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik (SOuS.li)
Silvia Abderhalden von exclusiv.li im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Wohlgemuth, Forschungsbeauftragter der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik (SOuS.li)
Zweck der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik (SOuS.li) ist die Förderung und Unterstützung sowie die eigenständige wissenschaftliche Bearbeitung, Dokumentation und Publikation im Bereich Staatsrecht und Ordnungspolitik in Liechtenstein.
Silvia Abderhalden: Prof. Dr. Michael Wohlgemuth, können Sie uns zunächst einen Überblick über die Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik geben? Was sind die zentralen Ziele und Aufgaben der Stiftung?
Prof. Dr. Michael Wohlgemuth: Die Stiftung untersucht die wesentlichen und dauerhaften Erfolgsbedingungen des Fürstentums Liechtenstein. Dabei stellen wir besonders auf die ordnungspolitischen und staatsrechtlichen Aspekte ab. Also: welche politischen, ökonomischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erklären den wirtschaftlichen Erfolg, die politische Stabilität oder ganz allgemein die für einen Kleinstaat bemerkenswerte «Resilienz»: das erfolgreiche Überleben Liechtensteins als souveräner Staat.
Die Stiftung setzt sich zum Ziel, die ordnungspolitischen und staatsrechtlichen Rahmenbedingungen für diese Erfolge systematisch wissenschaftlich zu analysieren und in einen internationalen Kontext zu stellen. Sie verfolgt diese Zwecke durch interdisziplinäre Forschung sowie durch öffentlich zugängliche Veranstaltungen und Publikationen.
Wie und wann wurde die Stiftung gegründet, und welche Motivation stand hinter ihrer Entstehung?
Die Initiative ging von Persönlichkeiten in Liechtenstein aus. Von Anfang an war nicht geplant, eine grössere Forschungseinrichtung mit viel finanziellem und administrativen Aufwand aufzubauen, die sich noch dazu in die Alltagspolitik des Landes einmischen würde. Es ging dem Stiftungsrat um Johannes Matt als Vorsitzendem vielmehr um eine kleine, feine Stiftung, die jährlich ein paar wenige, aber gehaltvolle und grundsätzliche Studien zu den Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren des Landes abliefert. Im Herbst 2017 nahmen wir die Arbeit auf. Die meisten Arbeiten stammen zwar von mir; aber wir haben auch – gerade im Bereich Staatsrecht und Verfassungsökonomik – weitere Experten aus dem In- und Ausland herangezogen. Gerade auch bei Veranstaltungen kommen Experten nicht nur aus dem Land, sondern auch den Nachbarländern zu Wort, um ihre Sicht beizutragen. Bisher sind neben kleineren wissenschaftlichen Aufsätzen etwa erschienen (und frei von der Website
www.sous.li herunterzuladen):
- Die Zukunft Liechtensteins in Europa
- Demokratie und Erbmonarchie in Liechtenstein
- Erfolgsfaktor Institutionenvertrauen in Liechtenstein
- Erfolgsfaktor solide Staatsfinanzen in Liechtenstein
- Kontinuität und Wandel der Verfassung Liechtensteins
- Staatsaufgaben, Staatsausgaben und Staatswachstum in Liechtenstein
- Die Resilienz von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft in Liechtenstein
- Präventive Aussenpolitik als Bedingung für Souveränität und Prosperität in Liechtenstein
- Und ganz neu: Liechtenstein und der IWF – Eine ordnungspolitische Einordnung
Warum ist das Thema Staatsrecht und Ordnungspolitik gerade in der heutigen Zeit so wichtig? Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in diesem Bereich?
Staatsrecht und Ordnungspolitik bilden den grundsätzlichen Rahmen, innerhalb dessen sich die «normale» Politik und das Wirtschaftsleben abspielt. Sie spiegeln aber auch die «Identität», das Selbstverständnis, eines Gemeinwesens. Weltweit spricht man von einer Art «Identitätskrise» des «Westens», von Bedrohungen des liberalen Modells. Das mag in Teilen etwas übertrieben sein, ist aber real. Bedroht und verletzlich sind nicht zuletzt auch Kleinstaaten. Gleichzeitig gibt es enorm erfolgreiche Kleinstaaten wie Liechtenstein. Ich habe mich intensiv mit der Kleinstaatenforschung befasst. Deshalb findet sich in meinen Studien normalerweise der Aufbau: 1. Grundsätzlich ordnungspolitisches zum Thema; 2. Besonderheiten von Kleinstaaten (Chancen, Risiken, Knappheiten, Strategien); 3. Besonderheiten Liechtensteins (Wirtschaftsstruktur, direkte Demokratie, Erbmonarchie, Beziehung zur Schweiz, EWR …). Vom ganz Grundsätzlichen zum ganz Konkreten im Land. Und am Schluss Szenarien und Empfehlungen für Liechtenstein.
Zu den negativen Szenarien, auf die man sich gerade auch in Liechtenstein einstellen muss, gehören meines Erachtens auch der (Selbst-) Vertrauensverlust in westliche Werte und Institutionen in vielen Ländern. Auch wenn das in Liechtenstein noch viel besser aussieht, drohen sich die internationalen Rahmenbedingungen zu verschlechtern: zunehmender Protektionismus, europäische Überregulierung, Abkehr vom Multilateralismus sind nur einige Stichworte. Hiergegen kann Liechtenstein alleine wenig ausrichten. Umso wichtiger ist es aber, die «Hausaufgaben» gut zu machen, für politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Und dem dienen gute Ordnungspolitik und gutes Staatsrecht.
Welche Zielgruppen sprechen Sie mit Ihrer Arbeit und Ihren Studien an, und wie können sich diese Zielgruppen durch die Informationen und Gutachten der Stiftung besser orientieren und fundierte Entscheidungen treffen?
Vorrangig richtet sich unsere Arbeit an alle Liechtensteiner. Sie sind ja zusammen mit dem Fürsten der «Souverän» des Landes und können vieles (auch direkt) mitentscheiden. Man sollte sich auch nicht davon abschrecken lassen, dass manche Studien recht umfangreich sind und vielleicht zunächst ein wenig akademisch daherkommen. Wir versuchen, verständlich zu beschreiben und zu erklären und dabei auch Aspekte zu entdecken, die man so im Land nicht schon oft gehört hat.
Gleichzeitig hoffen wir aber auch, Menschen ausserhalb des Landes auf Liechtenstein neugierig zu machen und diese zu informieren. Schliesslich ist das Wissen über das Land (gerade auch in Deutschland) arg gering und oft auch auf die wenigen alten Geschichten beschränkt, die es einmal in ausländische Medien geschafft haben. Einige Arbeiten stehen auch auf Englisch zur Verfügung; dies dient auch als Beitrag zur internationalen akademischen Kleinstaatenforschung, die eben vor allem auf Englisch stattfindet.
Ihre neue Studie «Präventive Aussenpolitik» hat grosse Aufmerksamkeit erregt; ganz aktuell kommt noch die Studie «Liechtenstein und der IWF». Welche Verbindung sehen Sie zwischen den Inhalten dieser Studien und den Zielen der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik?
Eine «präventive», vorausschauende Aussenpolitik ist entscheidend für Souveränität und Prosperität in Liechtenstein. Ökonomisch und machtpolitisch ist jeder Kleinstaat, auch Liechtenstein, sehr verwundbar. Nur durch intelligente bilaterale (Schweiz) und multilaterale (UNO, EWR …) Einbindung kann das kleine Land mit enorm hoher wirtschaftlicher Verflechtung und sehr knappen politischen Ressourcen seine Interessen wahren.
Was den IWF angeht kann man, auch aus ordnungspolitischer Sicht, einiges an der Institution und ihren Aktivitäten in einigen Krisenländern kritisieren. Aber ich komme in meiner Analyse des IWF zum Schluss, dass es schon im wohlverstandenen Eigeninteresse Liechtensteins wäre, Mitglied zu werden und nicht mit nur noch Kuba, Nordkorea und Monaco draussen zu bleiben. Man muss auch mit einem «worst case» rechnen können. Das Hauptargument ist die Absicherung im Falle einer schweren Krise, da kein «Geldgeber der letzten Instanz» für hohe Summen zu günstigen Konditionen zur Verfügung steht. Andere Argumente wie die Möglichkeit zur global vergleich-baren Selbstdarstellung des Landes und Standorts Liechtenstein in viel beachteten IWF Publikationen, aussenpolitische Optionen bilateraler Diplomatie oder Verbesserung der Datenlage und ökonomischen Expertise kommen hinzu. Somit wäre meines Erachtens ein IWF-Beitritt ein wichtiger Schritt einer «präventiven Aussenpolitik».
Der Beitritt Liechtensteins zum Internationalen Währungsfonds (IWF) ist ein sehr aktuelles Thema, über das die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 22. September entscheiden werden.
Seit seiner Ansprache am Staatsfeiertag hat S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein zahlreiche Gespräche zum IWF-Beitritt geführt und sich sowohl mit Befürwortern als auch Gegnern ausgetauscht. Trotz dieser Diskussionen bleibt er bei seiner Überzeugung und hat am 5. September nochmals über die Medien informiert, dass die aktuellen Gegebenheiten klar für einen Beitritt Liechtensteins zum Internationalen Währungsfonds (IWF) sprechen. S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein rief dazu auf, sich vor einer Entscheidungsfindung gut zu informieren.
Prof. Wohlgemuth, können Sie uns eine Zusammenfassung Ihrer Studie «Liechtenstein und der IWF» geben?
Die Studie besteht aus drei Teilen. Zunächst wird der IWF als Institution im Wandel und in der wissenschaftlichen Kritik diskutiert. Die Kritik der Kapitalismus- und Globalisierungsgegner, vor allem aber die von «marktliberaler» Seite wird als teilweise durchaus berechtigt dargestellt, auch wenn es wenig klare Empirie dazu gibt, ob der IWF eher als Feuerwehr oder indirekt auch als Brandbeschleuniger gewirkt hat. Dies liegt schon daran, dass die Vergleichssituation – die Entwicklung eines Landes ohne IWF-Hilfe – nicht messbar ist.
Von der grundsätzlichen Beurteilung des IWF und seiner bisherigen Wirkungen (vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern) ist die Frage der Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft indes deutlich zu trennen. Am ehesten mit einer möglichen Inanspruchnahme des IWF seitens Liechtenstein zu vergleichen sind die Erfahrungen Islands in der Finanzkrise 2008. Diese werden in einem kurzen zweiten Teil im Zusammenhang dargelegt. Sie zeigen u.a., wie wichtig es für das Land war, rasch an Kredite und Devisen zu gelangen; auch zeigen sie, wie flexibel der IWF bei seinen Reformvorschlägen auf Besonderheiten des Landes und Entscheidungen der Regierung eingegangen ist.
Im dritten Teil wird argumentiert, dass die grundsätzlichen Vorbehalte gegen den IWF und seine Politik für die Entscheidung, ob Liechtenstein aus einer Mitgliedschaft Vor- oder Nachteile hätte, nahezu irrelevant sind. Hierzu gehörte die Gefahr des «moral hazard», d.h., dass Regierungen als Kreditnehmer sowie andere Kreditgeber wegen des IWF als «last resort» allzu leichtsinnig und unvorsichtig sind, womit Krisen wahrscheinlicher werden. Der IWF als Institution wird durch einen Beitritt des Fürstentums weder besser noch schlechter. Das ist aber nicht die Frage, die am 22. September die Bürger Liechtensteins entscheiden können. Die Frage ist, ob es im wohlverstandenen Selbstinteresse Liechtensteins ist, Mitglied zu werden.
Diese Frage ist nicht abschliessend «wissenschaftlich» entscheidbar. Ich sehe indes klare Vorteile, auf einen «lender of last resort» zurückgreifen zu können (wenn man das möchte). Die Absicherung im Falle einer schweren (Banken-) Krise oder (Natur-) Katastrophe, d.h. der rasche, günstige und nahezu unbegrenzte Zugang zu Devisen und Krediten ist das Hauptargument. Andere Vorteile wie die Möglichkeit der globalen Eigendarstellung des Landes und Standorts, der kostenlose Zugang zu einem diplomatischen Parkett für bilaterale Kontakte oder die Verbesserung der Datenlage und ökonomischer Expertise kommen hinzu. Ein IWF-Beitritt wäre ein wichtiger Schritt im Sinne einer «präventiven Aussenpolitik» des Landes.
Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Michael Wohlgemuth für das Interview.
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